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Sex-Talk, Folge 2 Wie bespreche ich den Orgasmus?

Aron will lernen, über Sex zu sprechen. Woher kommt diese Verunsicherung? Und wann hilft Reden und wann nicht?

Aron fragt sich, was guten Sex ausmacht und wie man am besten darüber spricht Lisa Damm

Von ARON BOKS

taz FUTURZWEI, 08.06.2023 | Mira und ich torkeln aus einer Bar in Berlin-Neukölln in einen Späti. Wenig später liegen auf dem Tresen zwei Bier, Center-Schocks und die Frage nach Kondomen. Der schrankbreite Spätibestizer kramt, ohne aufzusehen, in seinen Chicago Bulls-Shorts und legt eine Plastikverpackung auf den Tisch.

„Hier, ihr könnt meins haben”, sagt er, nimmt uns ins Visier, dann lächelt er. „Bei mir geht heute eh nix mehr.“

Mira beginnt zu lachen, ich werde rot und wir stolpern zu ihr nach Hause.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 28, ist taz Panter-Volontärin in der taz-Redaktion.

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und ist seit Oktober 2021 taz Panter Volontärin.

Eigentlich war es eine gute Sache, das gleich vorher anzusprechen, denke ich. Inzwischen sind wir beide nackt. Aber eben nicht auf der Irrsuche nach Verhütungsmitteln unter und neben dem Bett, sondern zusammen im Bett.

Woher kommt die Scham?

Nein, denke ich fröhlich, es war sogar sehr gut, das auszusprechen. Zwar wirkt die Situation beim Späti rückblickend harmlos, aber wenn ich sonst ansatzweise und vor allem detailliert über meinen Sex reden soll, wirke ich wie blockiert. Ich weiß nicht, wieso und normalerweise war das nie ein Problem, jetzt nervt es mich aber – Mira und ich kennen uns seit ein paar Wochen, schlafen miteinander und das ist super, aber es wäre sicher noch besser, wenn ich das auch beim Sex signalisieren könnte.

Stattdessen bin ich oft so verunsichert still wie damals mit fünfzehn in der dritten Stunde im Klassenraum, nachdem ich im Schwimmunterricht zuvor nackt auf den Gang in Sichtweite der Mädchenumkleide geschupst wurde oder die Prahlgeschichten der anderen Typen hören musste. Die wussten, was guter Sex war, während ich in Gedanken an meinen einfach nicht einsetzen wollenden Wachstumsschub oder Stimmbruch lieber die Klappe hielt.

Mira redet oft und sogar detailliert über Sex mit ihren Freund:innen. Ich mache das immer noch nicht wirklich. Anscheinend geht es vielen von unseren jeweiligen männlichen Freunden auch so, und das obwohl sie und ich von Typen umgeben sind, die das Gegenstück zu den Schulprolls von damals bilden. Was ist das Problem?

Ich ziehe Mira zu mir heran und schließe die Augen. Und klar, denke ich. Es geht hier um ein gemeinsames Erlebnis – Mira ist noch awarer drauf als ich und würde vermutlich nichts in dieser Situation bewerten. Aber trotzdem stresst der Gedanke, sich möglicherweise seltsam zu bewegen, ganz generell nackt komisch auszusehen, mit meinen Händen irgendwelchen Scheiß zu machen, von dem nur Typen denken, er wäre geil – und nicht genau zu wissen, was jetzt am schönsten wäre, damit wir beide kommen. Und dass es richtig doof wäre, wenn ich zu früh dran bin. Und ob es wahr ist, dass das dann gar nicht schlimm sein soll und überhaupt:

Ich kann einfach immer noch nicht richtig über Sex sprechen, denke ich. Obwohl wir seit Tagen versuchen, das zu ändern.

Sextalk auf dem Schulhof

Rückblick: Vor Kurzem erzählte mir Mira von einem Typen. Eine Freundin von ihr hatte beim Sex mit ihm darüber sprechen wollte, was ihm oder ihr am besten gefällt und was sie ändern wollen würden.

„Nö, das killt den Vibe“, sagte er und stellte sich weiter doof an.

„Das war halt schade, weil wir echt guten Sex hätten haben können“, hatte die Freundin gesagt, und da dachte ich wieder an die Momente in der Schulzeit, an meine ersten Gespräche über Sex auf dem Schulhof meiner Jugend und die eigene Verunsicherung, wenn von Typen gesprochen wurde, die „gut im Bett“ waren. Als ginge es dabei um eine genetische Veranlagung. Und derjenige mit Gut-Im-Bett-Genen stirbt nicht oder gilt auf dem Schulhof nicht als der totale Loser.

Keine Ahnung, ob Miras Freundinnengeschichte darauf abzielte – jedenfalls beschloss ich, mich und mein Sexverhalten zu ändern und begann zu recherchieren.

Was erzählen Oma und Freunde über Sex?

Zuerst wollte ich wissen, ob Männer allgemein weniger im Alltag über Sex sprechen als Frauen. Immerhin haben sie es deutlich leichter, einen Orgasmus zu bekommen, während Frauen dabei tendenziell vernachlässigt werden, dachte ich, ohne eine Studie zu lesen und befragte mein Umfeld, ob und wie sie über Sex sprechen.

Ich ging zu Lilly, Isabel, meiner Oma und Kurt am Tresen meiner Lieblingschwulenbar, dem Ficken3000 in Berlin-Kreuzberg. Gut, ich bekam zwar kein neues Sex-Vokabular beigebracht und fand auch nicht heraus, ob Frauen tatsächlich öfter und zudem ausführlicher über Sex sprechen als Männer. Aber sowohl die progressiven Schwulenpornos an den Wänden wie auch die Erzählungen aus den 60ern und 70er Jahren der DDR meiner Oma führten mich am Ende zurück ins Bett und machten eins klar:

Es gibt vor allem eine Situation, in der es unbedingt notwendig ist, über Sex zu sprechen. Beim Sex mit der Person, mit der man Sex hat.

Ganz locker drüber reden

Also zurück ins Jetzt.

„Ist das da so richtig?“ frage ich. „Zu schnell?“ – „Findest du nicht auch, dass die neue Kondommarke richtig gut ist?“ – „Was für ein Zufall, im Supermarkt würden die mir nie …“ Mira tippt mir auf die Lippen, lächelt. Das fühlt sich gut an, denke ich und lächele zurück.

Vielleicht ist es okay, nicht zu wissen, wie man über Sex redet, solange man es nur oft genug probiert, denke ich.

Vielleicht finde ich bald eine Sprache, die so etwas ausdrückt und von den Spuren jeglicher rhetorischen Selbstbefriedigung oder Chauvinismus gereinigt ist, wenn ich doch irgendwann mit Freund:innen ganz locker über Sex rede und nicht mehr nur zuhöre.

Ich küsse Mira. Dann löse ich mich aus ihrer Umarmung und erzähle ihr von den Interviewpartner:innen, dem Spätibesitzer, den Typen vom Schulhof damals und wie mich deren toxische Narrative noch heute verunsicherten und dass ich ...

„Aron!“

„Ja?“

„Ich bin sehr fürs Reden, aber manchmal ist es auch gut, dabei einfach etwas zu schweigen“, sagt sie und macht eine Pause. „Ich war nämlich kurz davor.“

„Sorry, das ist alles ziemlich neu für mich“, sage ich zu Mira und setze an, weiter über meine Unsicherheit zu sprechen. Sie hält einen Finger vor den Mund.

„Kein Thema“, sagt sie. „Aber können wir dann jetzt einfach weitermachen?“

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.