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LeierkastenparadeMit Eierlikörchen vorm Einkaufscenter

Sie waren die Justin Biebers der Nachkriegsjahre und sind aus Berlin nicht wegzudenken: Bei der Drehorgelparade auf dem Ku'damm gaben sich 133 Leierkastenspieler die Ehre.

Berliner Tradition: Der Leierkastenmann Bild: DPA

„Du kannst mir mal für‘n Sechser, weil wir uns beide kenn‘n/ bei Kranzler unter‘n Linden, nach Kuchenkrümel renn‘n“ hallt es über die Strassen. Als berichtender Autor möchte man natürlich am liebsten auf dem Tahrir-Platz stehen. Oder in Brasilien eine herzerweichende Dokumentation über die Ungerechtigkeiten im Zuge der nahenden Fußballweltmeisterschaft drehen. An diesem Wochenende ist es allerdings ausnahmsweise mal die Drehorgelparade am Ku‘damm, warum auch nicht, sämtliche Katzen wurden bereits von ihren Bäumen gerettet und Veronica Ferres hat mal wieder irgend einen Film gedreht, es ist also nichts wichtiges passiert. 133 Drehorgelspieler aus der ganzen Welt, unter ihnen das Nachwuchstalent John Miller aus Milwaukee (hierauf legen die Veranstalter besonderen Wert, denn „das ist in den USA!“) haben sich getroffen, um bei der 33. Drehorgelparade (zur Überraschung des Autors ist der Name Programm) musizierend von der Bleibtreustrasse bis zum Breitscheidplatz zu ziehen. Als geborener Berliner liegt es mir natürlich fern, den Berufsstand des Drehorgelspielers ins Lächerliche zu ziehen, immerhin prägte dieser einst das Stadtbild, ähnlich wie die Litfaßsäule, die Gaslaterne oder die Hütchenspieler.

Doch mit dem Strassenlärm verschwand der Moritatensänger samt Instrument. Ab und zu sieht man noch einen vor dem Einkaufscenter stehen, mit einen Plüschaffen auf der Schulter und einem verstohlenen Grinsen im Gesicht, doch mehr als eine Touristenattraktion ist nicht übrig geblieben. Hörten die Menschen in alten Zeiten im Idealfall aufmerksam zu und erfreuten sich an den Weisheiten des Liedguts, begnügen sie sich sich heute damit, den einen oder anderen Euro in den Pappbecher zu werfen, um dem Strassenmusikanten einen Gefallen zu tun und anschliessend schleunigst das Weite zu suchen.

„Denkste denn, denkste denn, du Berliner Pflanze/ denkste denn ick liebe dir/ nur weil ick mit dir tanze?“ Weisheiten wie diese sind es, die im Alltag vermisst werden, und das ist ausnahmsweise mal nicht ironisch zu verstehen. Der Leierkastenmann war ja nicht nur ein Grund für wildfremde Frauen und Männer, sich gegenseitig zu packen und untergehakt im Kreis zu drehen. Hier fand man auch Rat in jeder Lebenslage und konnte durch die Blume Dinge sagen, die einem sonst eventuell nicht so leicht über die Lippen gekommen wären. Das anwesende Publikum scheint sich an diese Zeit zu erinnern, in Knickerbocker und mit Schiebermütze steht man da oder schunkelt mit, ein Gläschen Eierlikör in der Hand, die Brille ist auf die Nasenspitze gerutscht. Es gibt natürlich auch ein Rahmenprogramm, ein Clown wurde engagiert, Bands mit wohlklingenden Namen wie „Cool Cats“ oder „Peats Party Band“ spielen Livemusik, aber kaum eine Rolle. Während man sich fragt, was nun herzzerreißender ist, die Lieder der Interpreten oder die andächtig lauschenden Charlottenburger Damen, die sich im Takt wiegen, verteufelt man die hektisch durch die Einkaufsstraße hetzenden Menschen. Im Endeffekt also alles beim alten. Die Touristen wiederum sind vollends zufrieden, endlich einmal haben Sie das Deutschland vor sich, das Sie aus Filmen kennen: lustige Trachten und betrunkene Menschen.

„Püppchen, Du bist mein Augenstern/ Püppchen, hab Dich zum Fressen gern/ Püppchen, mein süßes Püppchen/Nein ohne Spaß, du hast so was!“ Während die alten Damen immer noch verzückt die Justin Biebers der Nachkriegsjahre anhimmeln, komme ich ins Gespräch mit einem, dem es leider nicht vergönnt war, eine eigene Drehorgel zu besitzen. Diesen Nachteil hat er jedoch durch intensives Studieren der Branche wettgemacht und im Angesicht eines relativ jungen Menschen, der ihm auch noch zuhört, wird dieses Wissen nun abgespult, ganz ähnlich dem System im inneren des Instruments. So erfährt man, dass die Drehorgel eigentlich nur eine stationäre Pfeifenorgel ist. Sie besteht aus einem Gehäuse, in dem das Pfeifenwerk, das sogenanne Balgwerk, eine Windlade und natürlich die Spieleinrichtung untergebracht sind. Mit Hilfe einer Kurbel oder eines Schwungrades wird über eine Pleuelstange der mit Leder bezogene Schöpfbalg betätigt, der den Wind erzeugt. Ich leier mir einen dummen Wortwitz aus der Rippe, irgendwas mit Schöpfbalg und Geld verbrauchendem Nachwuchs, aber da versteht der Herr keinen Spass. „Nein nein, das ist ein hochkompliziertes System so eine Drehorgel.“ Er hört gar nicht mehr auf zu dozieren, die Tatsache, dass er keine eigene Drehorgel besitzt, scheint sehr an ihm zu nagen. Also bitte ich ihn, für ein Foto zu posieren, einfach nur für mich privat, bringe auf diese Weise eine gewisse Distanz zwischen uns und kann mich entfernen, ohne ihm das Gefühl gegeben zu haben, nicht gebraucht zu werden.

Ganze zwei Tage wird die Veranstaltung andauern, Drehorgeln so weit das Auge reicht, und wir reden hier nicht von den Augen der beschwipsten Seniorinnen. Das Nachwuchstalent aus den USA habe ich leider nicht zu Gesicht bekommen, mir aber sagen lassen, dass es eine ganz besondere Kurbeltechnik an den Tag legt.

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2 Kommentare

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  • EV
    Ed von Honk

    Na, Du Nachwuchs-Orgler, wenne schon belesen sülzt, denn kolportiere richtig :

    Der Song Heisst "Puppchen, du..." und nich "Püppchen" hach immer diese Amateure...

  • H
    Holkan

    Warum werden Autoren zum Schreiben gezwungen, die in ihren Artikeln schreiben, dass sie echt keinen Bock auf das Thema hatten, aber eben darüber schreiben MÜSSEN? Dass sie sich selbstverliebt eher an den zivilgesellschaftlichen Brennpunkten dieser Welt sähen als bei den ollen Männern mit der altmodischen Musik?

    Wie viele ungezählte Autoren und Autorinnen gäbe es, die auch aus einem Leierorgelfestival noch etwas hätten machen können, wofür man sich als Zeitung ob solch dilettantischer Schreiberei nicht schämen müsste?