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■ Gloucester: „House of Horror“ wird zum RummelplatzLeichen pflastern seinen Weg

Dublin (taz) – Auf die T-Shirts, die den Schaulustigen in der unscheinbaren Straße mit den viktorianischen Reihenhäusern angeboten werden, ist nur eine Adresse aufgedruckt: „Cromwell Street Nr. 25“. Es ist die Adresse des „House of Horror“, das jetzt ebenso berühmt ist wie der Buckingham-Palast. Das Haus steht in Gloucester, einer südwestenglischen Stadt mit 100.000 Einwohnern, und ist seit zwei Wochen eine Touristenattraktion, die der spätgotischen Kathedrale in der Innenstadt den Rang abgelaufen hat. Vorgestern wurde die neunte Frauenleiche anderthalb Meter tief im Fundament des Hauses gefunden.

Der Besitzer des Hauses, der 52jährige Maurer Frederick West, ist in der vergangenen Woche formal beschuldigt worden, drei Frauen umgebracht zu haben. Im Gerichtssaal fiel er in Ohnmacht. Heute steht er erneut vor Gericht, wo ihm sechs weitere Morde zur Last gelegt werden sollen. Auf die Skelette, die im Garten hinter dem Haus vergraben und im Keller des Hauses einbetoniert waren, ist man nur deshalb gestoßen, weil eine Tochter der Wests zur Polizei gegangen ist und gesagt hat, daß in dem Haus „irgend etwas nicht stimmt“. Mit einem Radardetektor haben die Beamten dann feststellen können, an welchen Stellen das Erdreich aufgewühlt worden war. Vorgestern mußten 14 Tonnen Beton in den Keller gepumpt werden, weil das Haus wegen der Grabungsarbeiten sonst eingestürzt wäre.

West wohnte seit 25 Jahren mit seiner zweiten Frau Rosemary und den gemeinsamen Kindern in dem dreistöckigen Reihenhaus. Die Polizei versucht noch immer herauszufinden, wie viele Kinder die beiden eigentlich haben. Sieben, acht oder sogar zehn sollen es sein. Eins scheint jedoch festzustehen: Bei dem ersten Skelett, das vor zwei Wochen im Garten entdeckt wurde, handelt es sich um die Tochter Heather, die 1987 im Alter von 16 Jahren plötzlich verschwunden ist. Der Nachbarin, die damals nach dem Mädchen fragte, erzählten die Wests, sie sei mit einer Freundin davongelaufen. „Später haben sie Witze darüber gemacht und behauptet, Heather liege unter der Terrasse“, sagt die Nachbarin.

Eine weitere Tote ist die 18jährige Shirley Ann Robinson. Sie war im achten Monat schwanger – von West, wie ihre frühere Freundin behauptet, die nach Robinsons Verschwinden selbst zwei Jahre in dem Haus gelebt hat. West hatte das obere Stockwerk und den ausgebauten Dachboden ständig vermietet. Wer die anderen sieben Frauen und Mädchen sind, ist noch nicht bekannt. Die Polizei ist sich über die Identität von fünf oder sechs der Leichen jedoch relativ sicher. Die Beamten gehen davon aus, noch eine weitere Leiche in dem Haus zu finden. Pfarrer Ian Lorek von den Adventisten, deren Kirche direkt an das „Horrorhaus“ angrenzt, sagt: „Es ist ein Zeichen dafür, daß Jesus bald zurückkehrt.“

Wie die Frauen umgekommen sind, weiß bisher niemand. Für die Behauptungen der Boulevardblätter, die Opfer seien erwürgt worden, gibt es nach Auskunft der Polizei keine Indizien. Das kann vielleicht die pathologische Untersuchung von Bernard Knight klären. Der Professor von der Universität Cardiff gilt als führender Experte auf diesem Gebiet.

Die Polizei hat am Mittwoch ein Feld 20 Kilometer westlich von Gloucester mit dem Detektor untersucht und wartet nun auf die Analyse der Radarbilder, bevor sie mit dem Graben beginnt. Frederick West ist dort in der Nähe aufgewachsen. Danach soll die Suche auf einen Campingplatz nördlich von Gloucester, wo West früher einen Wohnwagen hatte, sowie ein weiteres Haus in der Innenstadt, in dem West mit seiner ersten Frau Catherine Costello gewohnt hat, ausgedehnt werden. Niemand hat etwas von Catherine Costello gehört, seit sie sich vor 22 Jahren von West angeblich getrennt hat und mit der gemeinsamen Tochter Charmain nach Schottland gezogen sein soll. Die Polizei hat inzwischen ein Computerbild veröffentlicht, das Costello so zeigt, wie sie heute aussehen könnte (siehe Foto) – wenn sie noch lebt. Daran glaubt ihre Schwester Georgina McCann jedoch nicht. „Sie hätte längst Kontakt zu mir oder unseren anderen drei Schwestern aufgenommen, wenn sie noch leben würde“, sagt McCann. Sie geht davon aus, daß Catherine und ihre Tochter Charmain ebenfalls ermordet worden sind.

In Großbritannien verschwinden eine Viertelmillion Menschen jedes Jahr. Seit den ersten Meldungen über das „Horrorhaus“ steht das Telefon bei der Vermißtenstelle nicht mehr still. Die Organisation, die den Angehörigen von Vermißten Trost und Rat anbietet, mußte vorübergehend zehn Hilfskräfte einstellen. „Die wilden Spekulationen der Boulevardpresse machen die Situation nur noch schlimmer“, sagte eine Mitarbeiterin. Die Zeitungen schreiben von mindestens 20 Toten, von Pornovideos, die Kindern vorgeführt worden seien, und von unzähligen Männern, die Rosemary West mit Wissen ihres Mannes in dem Haus empfangen habe. Die Ehefrau wurde vor zwei Wochen verhört, ist aber wieder auf freiem Fuß.

Das Geschäft in der Cromwell Street blüht. Gestern fuhr ein Reisebus mit französischen Schulkindern vor. Im Haus gegenüber von Nummer 25 kostet eine Tasse Tee 50 Pence. Wer die Toilette benutzen will, muß ein Pfund anlegen. Und die Fernsehteams, die aus dem In- und Ausland angerückt sind, müssen umgerechnet mindestens 200 Mark hinblättern, wenn sie von einem der Nachbarhäuser zehn Minuten lang über die Gartenmauer filmen wollen. Den Antrag des Nachbarn Shain O'Connor lehnte der Stadtrat jedoch ab. O'Connor wollte T-Shirts verkaufen, auf die in Anlehnung an eine berühmte Horror-Serie der Satz aufgedruckt werden sollte: „Freddy ist wieder da: Alptraum in der Cromwell Street.“ Ralf Sotscheck

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