Leiche des Mussawi-Neffen verschwunden: Die Lage im Iran spitzt sich zu
Bei Protesten in Teheran gab es über 300 Festnahmen und 15 Tote. Darunter ist ein Neffe von Oppositionsführer Mussawi. Das Ausland kritistert Irans Vorgehen scharf.
Nach offiziellen Angaben hat es bei den gewalttätigen Protesten am Wochenende acht Tote gegeben. Die Opposition hatte bereits am Sonntagnachmittag von vier Toten in Teheran und vier Toten in Täbris im Nordwesten Irans gesprochen. Diese Angaben wurden zunächst von der Polizei dementiert. Am Abend bestätigte die Polizei in einer Erklärung dann aber den Tod von fünf Personen. Vizepolizeipräsident Ahmad Reza Radan bezeichnete in einem Interview mit der halbamtlichen Agentur Fars die Todesfälle als "verdächtig". Jedenfalls habe die Polizei keine Waffen gegen Demonstranten eingesetzt, sagte er. Seinen Informationen zufolge sei einer von einer Brücke gestürzt, zwei weitere Personen seien von Privatfahrzeugen überfahren und ein Vierter unter höchst merkwürdigen Umständen durch Schüsse getötet worden.
Laut Radan wurden etwa 300 Demonstranten festgenommen. Über die Zahl der Verletzten machte der Polizeisprecher keine Angaben, auch nicht über den Tod von Ali Mussawi, einem Neffen des Oppositionsführers Mir Hossein Mussawi. Wie die Mutter des Getöteten in einem Interview am Montag sagte, wurde ihr Sohn zunächst mit Verletzungen an Kopf und Schulter ins Krankenhaus gebracht, wo er kurz darauf starb. Seitdem sei die Leiche verschwunden. "Niemand weiß, wo die Leiche ist, niemand fühlt sich dafür verantwortlich", so die Mutter. Nach Einschätzung politischer Beobachter will das Regime verhindern, dass die Opposition die Trauerfeier für den Verstorbenen zum Anlass für weitere Protestkundgebungen nimmt. In einer ersten Stellungnahme sagte Mir Hossein Mussavi, der Neffe sei gezielt getötet worden. Der Mord wäre eine Warnung an ihn persönlich.
12. Juni: Der ultrakonservative Präsident Mahmud Ahmadinedschad erreicht nach offiziellen Angaben fast 62 Prozent der Stimmen, der reformorientierte Mir Hussein Mussawi nur knapp 34 Prozent.
15. Juni: Mussawi spricht von Wahlbetrug, Hunderttausende versammeln sich in Teheran zur größten Protestkundgebung im Iran seit 30 Jahren. In den Folgetagen sterben nach offiziellen Angaben mindestens 7 Menschen, andere Berichte gehen von 15 Toten aus. Trotz Polizeigewalt weiten sich die Proteste aus.
20. Juni: Nachdem der Ajatollah Ali Chamenei am Vortag die Rechtmäßigkeit der Wahl betont, kommt es in Teheran zu den vorläufig blutigsten Folgen. Staatsmedien berichten von mindestens 10 Toten, Oppositionelle sprechen von über 40 Toten im ganzen Land. Im Internet taucht ein Video auf, das den Tod der Studentin Neda zeigt.
1. August: Rund 100 Menschen müssen sich vor Gericht wegen der Teilnahme an verbotenen Demonstrationen verantworten. Darunter befinden sich auch Ausländer wie die Französin Clothilde Reiss.
10. Oktober: Von den zeitweise über 4000 festgenommenen Demonstranten werden drei Regimegegner zum Tode verurteilt.
4. November: In Teheran kommt es am Rande einer offiziellen Kundgebungen zum 30. Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft erneut zu Zusammenstößen zwischen Regierungsgegnern und der Polizei, 109 Menschen werden in Haft genommen.
7. Dezember: Oppositionsanhänger nutzen eine staatliche Kundgebung, um trotz Demonstrationsverbot auf die Straße zu gehen. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, dutzende Menschen werden verletzt und festgenommen.
20. Dezember: Der regimekritische Großajatollah Hussein Ali Montaseri stirbt im Alter von 87 Jahren. In den nächsten Tag kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Oppositionellen und Sicherheitskräften.
27. Dezember: Mindestens acht Menschen sterben bei Anti- Regierungsdemonstrationen, unter anderem auch der Neffe von Oppositionsführer Mussawi. In unbestätigten Berichten ist sogar von 15 Toten die Rede. Mindestens 300 Menschen werden festgenommen. (dpa)
Das Regime versucht nun ausgerechnet den Mord an Ali Mussawis Neffen der Opposition anzulasten. So schrieb die Agentur Fars, "konterrevolutionäre terroristische Gruppen" hätten einen Verwandten Mussawis getötet. Untersuchungen hätten ergebenb, dass die benutzten Waffen eindeutig aus dem Arsenal der "abtrünnigen Terroristen" (gemeint sind die oppositionellen Volksmodschahedin) stammen! Wie einige Webseiten der Opposition berichten, wurden neben Hunderten von Demonstranten Sonntagnacht und Montagfrüh auch einige prominente Politiker und Menschenrechtaktivisten festgenommen, unter ihnen der frühere Außenminister und jetzige Vorsitzende der Freiheitsbewegung Ebrahim Yasdi sowie der bekannte Journalist Emadedddin Baghi. Yadi wurde um drei Uhr nachts in seinem Haus abgeholt.
Mehdi Karrubi, einer der Oppositionsführer, hat in einer Erklärung auf seiner Website das brutale Vorgehen gegen Demonstranten scharf verurteilt. Es sei eine "unverzeihliche Sünde", gerade am Aschura-Tag, dem wichtigsten Trauertag der Schiiten, so brutal gegen Demonstranten vorzugehen. Eine solche Missachtung der heiligen Tage habe nicht einmal der Schah gewagt. "Was ist geschehen, dass ein Staat, der aus einem Aufstand am Aschura-Tag hervorgegangen ist, gerade an diesem Tag das Blut der Gläubigen vergießt und eine wild gewordene Horde auf unschuldige Menschen loslässt", schreibt Karrubi.
Als "beschämend" bezeichnete Karrubi auch, dass eine Veranstaltung mit dem früheren Staatspräsidenten Mohammad Chatami am Samstag von Schlägertruppen gesprengt wurde. Während Chatami in einer Moschee vor einer Versammlung von zweitausend Personen sprach, drangen einige Duzend gewalttätige Demonstranten ein, beschimpften Chatami als Verräter und Lakai des Westens. Chatami musste seine Rede abbrechen.
Während die Unruhen auch am Montagmorgen im Westen Teherans und in einigen anderen Städten andauerten, versuchten die Medien, die nahezu gänzlich vom Staat monopolisiert sind, die Bedeutung der Ereignisse herunterzuspielen. Es wird von "Grüppchen" gesprochen, die im Auftrag ausländischer Feinde Unruhe stiften wollten. In einigen Blättern wird die Forderung erhoben, endlich die "Verräter" festzunehmen und zu bestrafen. Gemeint sind vor allem die Oppositionsführer Mussawi, Karrubi und Chatami. Auch der frühere Staatspräsident, Haschemi Rafsandschani, zurzeit Vorsitzender des Experten- und des Schlichtungsrates, wird in einigen Zeitungen als Drahtzieher der Unruhen genannt.
Die USA haben das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten scharf kritisiert. Washington verurteile "die gewaltsame und ungerechte Unterdrückung von Zivilisten im Iran, die ihre Grundrechte ausüben", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats Mike Hammer am Sonntag. Auch Angela Merkel kritisierte das Vorgehen der iranscihen Sicherheitskräfte als "inakzeptabel".
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