Leibeigene im Haifischbecken

Die krummen Touren auf dem Transfermarkt der Fußball-Bundesliga / Afrikaner als bevorzugte Opfer dubioser Spielervermittler  ■ Von Johannes Nitschmann

Frankfurt – Wenn bundesdeutsche Fußballprofis eine neue Beschäftigung suchen, wird das Arbeitsamt meist umdribbelt. Statt dessen spielen sie Doppelspaß mit dubiosen Spielervermittlern, die sich mit ihren finsteren Finessen nicht selten im Strafraum der Justiz bewegen. Die Bundesanstalt für Arbeit will die zum skrupellosen Menschenhandel entartete Schacherei auf dem Transfermarkt jetzt unterbinden und die illegalen Spielervermittler ins Abseits stellen.

Nach den Sommerferien werden die Führungsgremien der Nürnberger Bundesanstalt über eine Stellenausschreibung mit völlig neuem Berufsbild beraten: den Arbeitsvermittler im Profi-Fußball. Spätestens zu Beginn des kommenden Jahres sollen zehn bis zwölf Spielervermittler in der Bundesrepublik lizensiert werden und von Präsident Bernhard Jagoda den lukrativen Auftragsschein der Arbeitsverwaltung erhalten, der zu einer „auf Gewinn ausgerichteten Arbeitsvermittlung“ legitimiert. Vereine und Spieler, die auch dann noch das Arbeitsamt austricksen, müssen mit saftigen Geldstrafen von bis zu 50.000 Mark rechnen, illegalen Spielervermittlern droht Gefängnis. Hermann Henke, der für das Fußballgewerbe zuständige Verwaltungsdirektor der Bundesanstalt: „Wir überlegen, wie man die Dinge legalisieren kann.“

Vor den illegalen Praktiken auf dem Transfermarkt hat der Deutsche Fußball Bund (DFB) bislang seine Augen fest verschlossen. Immer häufiger geraten schon 16jährige Fußball-Talente in den fürsorglichen Würgegriff sogenannter Spielerberater, die sich per Kontrakt mit deren Eltern alle Rechte für die Vermittlung und Werbung der Jungstars sichern. Bei Vertragsbruch werden hohe Konventionalstrafen bis zu 500.000 Mark angedroht. Schaffen die Junioren den erhofften Sprung in den Profi- Fußball nicht, werden sie von den Menschenmaklern eiskalt abserviert, zumeist ohne berufliche Existenz.

Nach außen hin hat in dem Haifischbecken Fußball-Bundesliga alles seine gute Ordnung. Wenn die Profi-Kicker bei einem Vereinswechsel ihre Aufnahme in die Transferliste des DFB beantragen, müssen sie schriftlich versichern, „im Falle einer Vermittlung nur die Dienste der Amtlichen Arbeitsvermittlung in Anspruch zu nehmen“. Ausdrücklich werden die Spieler auf dem Transferantrag darüber belehrt, daß „unberechtigte Arbeitsvermittlung“ eine Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat darstellen, die mit bis zu 30.000 Mark oder bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden können. Unterschrieben wird dieser Passus von allen Profis, daran halten tut sich kaum einer.

Beschäftigungslose Profi-Kicker werden vom DFB an die in seiner Frankfurter Verbandszentrale residierende „Paritätische Fußballspieler-Vermittlungsstelle“ (PFV) verwiesen. Für den Präsidenten der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV), Stefan Lottermann, ist das „ein schlechter Witz“. Diese PFV, in der neben dem DFB Vertreter der Nürnberger Bundesanstalt, der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) und dem Bund Deutscher Fußball-Lehrer (BDF) sitzen, ist laut Lottermann ein Phantom: „Ich kenne keinen einzigen Spieler, den die vermittelt haben. Die haben nicht mal ein Türschild und ein eigenes Telefon.“ Einnahmen erziele die PFV nur bei der Vermittlung von Fußball-Trainern in die Dritte Welt.

In der ersten und zweiten Bundesliga sowie den oberen Fußball- Amateurklassen kontrollieren nach Schätzung der VdV derzeit etwa 200 illegale Spielervermittler den Transfermarkt, die nicht nur bei der Vermittlung der Fußballer kräftig abkassieren, sondern auch maßgeblich in der Vereinspolitik mitmischen. Beim Fußball-Bundesligisten Dynamo Dresden drohte der Spielervermittler Wolfgang Karnath anfang dieses Jahres mit der Arbeitsverweigerung der halben Mannschaft. Keineswegs eine leere Drohung, Karnath hatte sechs Dynamo-Spieler unter Vertrag.

„Wie bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen

Daraufhin trafen sich die Manager der 18 Fußball-Bundesligisten in der Dortmunder Nobelherberge „Wittekindshof“ zu einer konzertierten Aktion: Gegen übel beleumdete Spielervermittler wie Karnath, die durch „Knebelverträge“ mit ihren Klienten oder andere unseriöse Methoden aufgefallen waren, sollte ein Boykott verhängt werden.

„Das war wie bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen“, erinnert sich einer der Manager an die vertrauliche Runde, „nur alles noch wesentlich komplizierter, schließlich saßen da 18 Supermächte am Tisch“. Für VdV-Präsident Lottermann ist es „kein Zufall“, daß die Spielervermittler Jürgen Milewski und Wolfgang Vöge, beides ehemalige Bundesligaspieler, entgegen den ursprünglichen Plänen nicht auf die schwarze Liste kamen. Bayern-Manager Uli Hoeneß soll sich für Milewski verwandt haben, der die Interessen des Münchner Stürmers Labbadia vertritt. Der ehemalige Dortmunder Profi Wolfgang Vöge wiederum soll aufgrund einer Intervention von BVB-Manager Michael Meier von den Boykottmaßnahmen verschont worden sein. Zwar versichert Meier, daß er sich „nicht mit Spielervermittlern an einen Tisch“ setze. Doch die spektakulären Millionen-Transfers der Italien-Legionäre Matthias Sammer und Karl- Heinz Riedle an den Dortmunder Borsigplatz liefen nach Einschätzung von Insidern ausschließlich über den fixen Vöge.

Am Ende ihres Dortmunder Palavers konnten sich die Bundesliga-Manager neben Karnath gerade noch auf zwei Spielervermittler verständigen, denen sie schließlich die rote Karte zeigten. Mit Holger Klemme, dem die prominente Liga-Kundschaft wegen angeblich krummer Touren zuletzt reihenweise laufen ging, ist einer davon ohnehin megaout. Der andere, Joachim Leukel aus Frankfurt, zählt nach Einschätzung von Insidern eher zur zweiten Garnitur. Leukel, der sein Ein-Mann- Büro vollmundig „Football-Consulting“ nennt, machte im Herbst 1990 Schlagzeilen, als er gemeinsam mit seinem Kompagnon Harald Dubberke für den Transfer des ghanaischen Torjägers Anthony Yeboah vom 1. FC Saarbrücken zu Eintracht Frankfurt 450.000 Mark einstrich. Die Eintracht-Funktionäre überwiesen das Honorar für das Vermittler- Duo an die „International Sports Academy“ (ISNA) im hessischen Seeheim-Jugendheim, die weitgehend aus dem ehemaligen Streifenpolizisten Dubberke und einem Anrufbeantworter besteht. Dubberke, der bis heute nicht auf der schwarzen Liste der DFB-Manager steht, soll vor allem afrikanische Fußball-Talente auf dem deutschen Markt feilbieten.

Der ehemals als Startbahngegner engagierte VdV-Vorsteher Lottermann, selbst jahrelang als Fußball-Profi unter anderem in Frankfurt und Nürnberg aktiv, verfolgt seit Monaten „eine schwarze Spur“, die einige Liga-Trainer „hinter sich herziehen“. Im Fußballgewerbe besteht der Verdacht, daß Trainer von Spielerberatern kräftig geschmiert werden, damit sie sich bei den Vereinsoberen für die Verpflichtung afrikanischer Kicker verwenden. Ebenso gebe es Fußball-Lehrer, denen bei Neuerwerbungen ein „Jugo-Touch“ nachgesagt werde. DFB-Ligasekretär Wolfgang Holzhäuser („Das kann doch wohl nicht wahr sein“) hat die Szene auch schon über solche Gerüchte wispern hören. Verzweifelt sucht er nach stichhaltigem Beweismaterial: „Da sind wir ganz wild drauf.“ Trainer, die bei solchen Praktiken überführt werden, droht nach Aussage von Holzhäuser der Lizenzentzug und ein lebenslängliches Berufsverbot.

Bleiben die schwarzen Ballvirtuosen hinter den von ihren Vermittlern hochgejazzten Erwartungen zurück, werden sie hastig abgeschoben. Jüngstes Opfer ist der Senegalese Papa Yakhyha Lette. Der 22jährige Stürmer hatte sich beim Zweitligisten FC Homburg einen schweren Bänderriß zugezogen und den sportlichen Anschluß verloren. Die Homburger hoben den bis 1995 laufenden Lizenzspielervertrag mit dem Senegalesen einfach auf und ließen ihn wochenlang „völlig mittellos dahinvegetieren“, wie dessen Anwalt Hans-Jürgen Gebhardt fassungslos erklärt.

Wer versagt, soll Gras fressen gehen

Als der Skandal publik wurde, setzte der Verein den Stürmer vergangene Woche kurzerhand ins Flugzeug Richtung Heimat. Rechtsanwalt Gebhardt ist überzeugt, daß dies gegen den Willen des Spielers geschah: „Der war völlig hilflos und hat in seiner Ahnungslosigkeit einfach alles unterschrieben. Das ist Sklavenhandel par excellence.“ Der Vorsitzende des Homburger Zweitligisten, Udo Geitlinger, hatte Lette kaltschnäuzig als „unbrauchbar“ aussortiert: „Wir sind keine Rentenstation“, brüllte der millionenschwere Baulöwe. Als der Anwalt bei den Homburger Vereinsbossen auf Zahlungen für seinen Mandanten drängte, „weil der sonst schlicht verhungert“, bekam er zu hören: „Der soll Gras fressen.“

Der Vorsitzende der Ghana- Union, James Amoah, will die Ausbeutung seiner Landsleute durch abgezockte Spielervermittler nicht weiter hinnehmen: „Unsere Spieler werden behandelt wie Leibeigene und ohne Ende übers Ohr gehauen.“ Amoah will jetzt eine Interessenorganisation für afrikanische Fußballer in Deutschland gründen. Ohne die Filigrantechniker aus Ghana und den anderen Entwicklungsländern kann sich Amoah den deutschen Profi- Fußball gar nicht mehr denken: „Bundesliga ohne Afrikaner, ist wie ein Klavier ohne schwarze Tasten.“