Lehrkräftemangel in Brandenburg: Non scholae sed vitae discimus
Geht es nach SPD und BSW, müssen Lehrer*innen in Brandenburg künftig wöchentlich eine Stunde mehr unterrichten. Die GEW will das nicht hinnehmen.

Nun macht sich die seit Dezember amtierende Koalition aus SPD und BSW an den Entwurf des Haushalts. Besser gesagt, den Entwurf für die Haushaltskürzungen. Und auch der Bildungsbereich soll demnach sparen. Im Raum steht, dass Brandenburger Lehrer*innen künftig eine Stunde mehr arbeiten sollen. Der Entwurf ist am Donnerstag im Landtag in die erste Lesung gegangen.
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisiert die Pläne vehement. „Das ist eine nicht hinnehmbare unbefristete Arbeitszeiterhöhung“, heißt es von der GEW, die für den 21. Mai auch zu einer Großdemo gegen die Sparpläne in Potsdam mobilisiert. Die Landtagsabgeordneten fordert die Gewerkschaft dazu auf, den Entwurf von SPD und BSW abzulehnen.
Konkret laufen die Pläne darauf hinaus, dass Lehrer*innen an Grundschulen bei einer vollen Stelle 28 Stunden unterrichten, an Oberschulen, Gesamtschulen und Gymnasien wären es 26 Stunden. Damit kämen Lehrer*innen in Brandenburg auf genauso viele Stunden wie ihre überlasteten Kolleg*innen in Berlin.
Bildungsgewerkschaft läuft Sturm
Die GEW will die Sparpläne nicht hinnehmen. „Es ist ein Unding: Das sind Beschlüsse, die stehen diametral gegen das, was sie vor der Wahl gesagt haben“, sagt der Landesvorsitzende Günther Fuchs. Die Regierung in Potsdam stellt zwar zugleich in Aussicht, dass Lehrer*innen von anderen, unterrichtsfernen Aufgaben entlastet werden sollen. Doch auch das überzeugt Fuchs nicht. „Man verordnet die Stundenerhöhung einfach, und guckt dann, wo können wir entlasten“, kritisiert er. „Das macht keinen Sinn.“
Dazu kommt, dass Brandenburg vor einem Jahr – unter der vorherigen Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen – noch eine Vereinbarung zur Entlastung von Lehrer*innen getroffen hatte. „Die Entlastung sollte auf der Grundlage der Bedingungen vor einem Jahr stattfinden“, sagt Fuchs, „nicht aufgrund der nun angekündigten Arbeitszeiterhöhung.“
Zwischenzeitlich hatte das SPD-geführte Bildungsministerium außerdem verkündet, dass aktuell keine Lehrer*innen mehr eingestellt werden könnten. Das sei ein „Moratorium“ gewesen, ein kurzes Innehalten, um die Zahlen einmal genau zu erheben, heißt es vom Bildungsministerium. Seit dem 9. April seien Einstellungen wieder möglich, bestätigte das Ministerium auf Nachfrage.
Günther Fuchs sieht im Vorgehen der Landesregierung „eine neue Art des Umgangs“. Bisher habe die GEW mit dem Land gemeinsam nach Lösungen gesucht. „Das scheint diese Regierung nicht zu wollen“, sagt er. Und er fürchtet: „Wir werden als Land immer unattraktiver.“ Junge Lehrer*innen könnten sich angesichts der Sparvorgaben und der Arbeitszeiterhöhung umorientieren und in andere Bundesländer gehen. „Das bedeutet, dass Schulen, die bereits Zusagen hatten, nun noch mal neu suchen oder Lehrer*innen versetzen müssen“, sagt er.
Der GEW-Chef meint zudem, dass durch die Verpflichtung zu einer weiteren Unterrichtsstunde kaum mehr Unterricht zu erwarten sei. Denn: „Bereits eingestellte Lehrer*innen könnten vermehrt in Teilzeit gehen.“ Auch der Krankenstand sei bereits jetzt hoch.
BSW-Finanzminister Crumbach wiegelt ab
Unterdessen prescht BSW-Landeschef und Finanzminister Robert Crumbach mit weiteren Forderungen vor. In einem Interview mit dem Tagesspiegel sagte er, er finde die eine Stunde „nicht dramatisch“. Auch kündigte er an, dass in die Anpassungen auch die unterrichteten Fächer miteinbezogen werden könnten. Lehrer*innen für Fächer mit hohem Korrekturaufwand könnten demnach weniger Stunden zugeteilt bekommen als etwa Sportlehrer*innen.
Crumbach fordert darüber hinaus, dass die Arbeitszeiten von Lehrer*innen erst mal „richtig“ erfasst werden: „Das ist ohnehin eine europarechtliche Vorgabe.“ Und ein alter Hut. Die Gewerkschaften sprechen sich schon seit Langem für eine Arbeitszeiterfassung aus.
Doch die Landesregierungen zeigten in dieser Angelegenheit bisher kaum ernsthafte Ambitionen. Schließlich könnte sich so herausstellen, dass die Arbeitszeiten über den rechtlich zulässigen Werten liegen. „Es gibt Untersuchungen. Aber die zeigen immer das Gegenteil: dass Lehrer*innen nämlich viel zu lang arbeiten und dass freie Zeiten die Belastungsspitzen und die Länge der Arbeit nicht ausgleichen“, sagt GEW-Chef Fuchs.
Die Universität Osnabrück hat im vergangenen Schuljahr eine repräsentative Studie unter Lehrer*innen in Berlin durchgeführt, deren Ergebnisse die Forscher Anfang Juni veröffentlichen werden. Eine ähnliche Studie gab es 2024 in Hamburg. In Niedersachsen hatte die dortige GEW bereits herausgearbeitet, dass Schulleiter*innen oft mehr als 50 Wochenstunden arbeiten, vorgesehen sind für Beamt*innen mit einer Vollzeitstelle 40 Wochenstunden. Darin sind arbeitsfreie Ferienzeiten berücksichtigt. Dieses Ergebnis sei auch relevant für Lehrer*innen, sagt die dortige GEW.
Was die Brandenburger Forderung brisant macht: Eine weitere Unterrichtsstunde bedeutet für Lehrer*innen keineswegs nur 45 Minuten Mehrarbeit. Für Lehrer*innen geht damit auch deutlich mehr Vor- und Nachbereitungszeit für die Unterrichtsplanung einher, sie haben eventuell mehr Klassenkonferenzen und mehr Korrekturarbeit.
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