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Lehrerverband über Quereinsteiger„Den Geburtenanstieg verpennt“

Der Lehrerverbandsvorsitzende Meidinger beklagt zu viele Quereinsteiger im Schuldienst. Er fordert einheitliche Standards für ihre Ausbildung.

Neues Schuljahr, neuer Job – Tausende neuer Lehrer haben zuvor eigentlich etwas anderes studiert Foto: dpa
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Herr Meidinger, Sie sagen, 40.000 LehrerInnen fehlen – wie kommen Sie auf diese horrende Zahl?

Heinz-Peter Meidinger: Zugegeben, das ist eine Schätzung. Die Ministerien halten sich recht bedeckt, die Zahl der unbesetzte Stellen ist deutlich geringer. Aber wenn man Seiteneinsteiger, Mehrarbeit, Pensionisten oder eine Kürzung der Stundentafel dazurechnet, kommen wir auf bis zu 40.000 Stellen, die nicht durch ordentliche ausgebildete Lehrer besetzt sind. Das sind bei bundesweit 800.000 Lehrkräften bundesweit etwa 2 bis 3 Kollegen in einem 50-köpfigen Kollegium, die fehlen.

Klingt nicht so schlimm.

Klingt am Schulanfang nicht so dramatisch. Aber wenn eine Lehrkraft dann zusätzlich für längere Zeit ausfällt, oder bei der ersten Grippewelle, gibt es sofort massive Probleme. An den Grundschulen habe ich in 30 Jahren keinen so dramatischen Lehrermangel erlebt.

Wer ist schuld – die Kultusministerien, die für Schulen zuständig sind, oder die Unis, die zu wenige LehrerInnen ausbilden?

Beide. Zum großen Teil sind die Probleme hausgemacht. Die Ministerien haben den Geburtenanstieg einfach verpennt. Man hätte schon vor etlichen Jahren die Lehrerausbildung massiv ausbauen müssen, stattdessen wurden Plätze abgebaut. Die Hochschulen haben das gern gemacht, da Lehramtsstudiengänge nicht so attraktiv und drittmittelrelevant sind wie andere Studiengänge. Dazu kommt aber auch der so nicht vorhersehbare Zustrom an Flüchtlingen.

Bild: dpa
Im Interview: Heinz-Peter Meidinger

geboren 1954, ist seit 2017 Präsident des Deutschen Lehrer­verbands. Zuvor war er Bundesvorsitzender des Deutschen Philologen­verbands. Hauptberuflich leitet er das Robert-Koch-Gymnasium in Deggendorf, Bayern.

Ist es richtig, nun vor allem auf QuereinsteigerInnen zu setzen?

Daran wird man jetzt nicht vorbeikommen. Problematisch ist es allerdings, wenn der Anteil bei den Neueinstellungen wie in Berlin bei fast 40, an den Grundschulen bei über 70 Prozent liegt.

Sind diese neuen KollegInnen für Sie und Ihre Verbandsmitglieder überhaupt vollwertige KollegInnen? Viele haben ja keine pädagogische Ausbildung.

Ich habe große Sorge, dass es zu Qualitätseinbußen kommt. Damit Sie mich nicht falsch verstehen, ich habe nichts gegen pädagogisch gut nachqualifizierte Seiteneinsteiger. Die hat es immer gegeben und es ist bewältigbar, wenn es ein oder zwei pro Kollegium gibt. Da finden sich Zeit und Leute für Nachqualifizierung und um sie zu coachen. Aber wenn ein Kollegium zu einem Drittel oder zur Hälfte aus Quereinsteigern besteht, ist das ein massives Problem.

Also sind die vielen QuereinsteigerInnen doch ein Problem.

Nicht der Seiteneinsteiger an sich ist das Problem, sondern die fehlende Qualifizierung verbunden mit der hohen Anzahl. Hessen hat ja ein besonders fragwürdiges System. Dort werden Quereinsteiger sofort in den Unterricht geschickt und nach einigen Monaten schaut man, wer sich bewährt. Diese Leute kriegen eine Qualifizierung, die anderen dürfen gehen. Dieses System geht auf jeden Fall auf Kosten der Kinder. Keiner von uns möchte von einem Piloten geflogen werden, der Seiteneinsteiger ist, oder von einem Arzt operiert werden, der gerade noch berufsbegleitend Medizin studiert. Aber bei Kindern schaut es gerade so aus, als könnte jeder unterrichten, der halbwegs gut mit ihnen auskommt. In einer Klasse jedem Schüler individuell gerecht zu werden und guten Unterricht zu halten, erfordert doch schon eine andere Qualifikation.

Wären einheitliche Kriterien für die Qualifizierung von Seiteneinsteigern sinnvoll?

Es gibt von Bundesland zu Bundesland verschiedene Regelungen. Ich bin ein Anhänger des Bildungsföderalismus, aber auch ein Befürworter klarer Standards. Insofern: Ja es braucht einheitliche Standards.

Wie viele Nachhilfestunden müssen es denn sein, damit aus der Mathematikerin eine Mathematiklehrerin wird?

Eine Woche Crashkurs, wie er in Berlin angeboten wird, ist auf jeden Fall zu wenig. Ideal wäre eine Qualifizierung, die dem Referendariat entspricht – also ein bis anderthalb Jahre.

Ab 2026 soll sich der Lehrermangel Prognosen zufolge abschwächen. Ist es klug, Abiturienten von heute zu raten, studiert Lehramt?

Ich bin generell vorsichtig mit Prognosen. Mein Rat wäre, jeder, der diesen Beruf als Berufung empfindet, soll ihn ergreifen – und nicht so sehr auf die Lehrerbedarfsprognosen schauen.

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4 Kommentare

 / 
  • 9G
    97796 (Profil gelöscht)

    Der Lehrermuff bekommt Konkurrenz durch Menschen, die schonmal gearbeitet haben und praktische wie soziale Erfahrungen mitbringen, der Lehrermuff maximal aus der Theorie kennen. Eher garnicht. Arbeiter mit pädagogischer Weiterbildung sind ganz natürlich die besseren Pädagogen. Das erste mal verständlich habe ich Analysis verstanden, als sie mir von einem ehemaligen Versicherungskaufmann und Lehrerquereinsteiger erklärt wurde. Und der stand immer in besten Anzügen, frisch rasiert und gut riechend vor der Klasse.

  • Ja wie? Wer hätte anderes erwartet.!;)(

    Däh!



    “Der Lehrerverbandsvorsitzende Meidinger beklagt zu viele Quereinsteiger im Schuldienst. Er fordert einheitliche Standards für ihre Ausbildung.“



    & Däh! die 2. ff;)



    “…Damit Sie mich nicht falsch verstehen, ich habe nichts gegen pädagogisch gut nachqualifizierte Seiteneinsteiger. Die hat es immer gegeben und es ist bewältigbar, wenn es ein oder zwei pro Kollegium gibt. Da finden sich Zeit und Leute für Nachqualifizierung und um sie zu coachen.…“

    Nö Nö - Allewelt versteht Sie - werter Herr “Präsident des Deutschen Lehrer­verbands. Zuvor war er Bundesvorsitzender des Deutschen Philologen­verbands. Hauptberuflich leitet er das Robert-Koch-Gymnasium in Deggendorf, Bayern.“

    Schon schön richtig. Keine Sorge.

    Dazu mal ein Blick über Tellerrand



    &



    Ländergrenzen hinweg.

    De Hollandsche!;) - die Pragmatiker par excellence - doch doch - mal too much2

    Die Niederlande haben selbiges zum System erhaben. Nich to glöben.



    Aber amtlich. War ich doch platt als Zaungast der Einweihung der Richterschule in Zytphen zu erfahren:



    Aus deren Absolventen rekrutieren sich cum grano salis nur annähernd die Hälfte der Richterschaft.



    Die andere Hälfte wird gezielt mit beruflichen Praktikern besetzt!



    Über die dadurch bedingten - “Verwerfungen“ - sinnse sich nicht nur bewußt. Die sind gewollt!



    Daß frauman - dazu noch zum erstinstanzlichen Richter befördert wird - rundet das Ganze noch ab!;))

    unterm——



    Gab natürlich ein Mordshallo - einschl. belgischer Gäste - gestandene 68er einschl. Kraakeranwälte nicht zu knapp im kollegialen - öh Gespräch auch mit den Rajos/Absolventen zu mitzuerleben.



    Die nur aufgelegten Tischplatten - spiegelten den bewegten Gang der Dinge im Hin&Her durchaus gut wieder.



    Aber gemach - abends beim kl. Jazz & Heineken im black tie* - entre nous …Pragmatiker halt. Newahr. As u belieft.



    Normal.

    ——



    * auch da comm il faut -



    Meiner - darin hätte vor Nadel&Faden -



    Auch Peter Altmeier - glatt bella figura gemacht. Eben s.o.;))

  • "Problematisch ist es allerdings, wenn der Anteil bei den Neueinstellungen wie in Berlin bei fast 40, an den Grundschulen bei über 70 Prozent liegt."

    Schwachsinn! da bangt einer um seinen Sonderstatus.



    hatte selbst schon einen Quereinsteiger - einer der besten 4 Lehrer die ich je hatte. und alle Professoren und Dozenten sind Quereinsteiger ohne pädagogische Ausbildung. Und der überwiedende Teil macht das sehr gut. Besser als 95% aller Lehrer die ich kenne.

    Jeder Quereinsteiger hebt die Qualität des vermittelten Wissens um Faktoren. Zumindest so lange bis man ihn auf Linie gebracht hat

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Zwei Aspekte stören mich im Interview und hätten besser nachgefragt werden müssen:



    Wieso gibt es keine „echten“ also belastbaren Zahlen, die mit hoher Trefferquote vorhersagen, wieviel SchülerInnen wann zu welchen Schulen gehen werden? Das ist doch kein Hexenwerk, weil praktisch alle Vertriebsorganisation (die, die SchülerInnen im Visier haben) sehr genau wissen, welche Produkte sie wann an welche (Schüler)Zielgruppe verkaufen können.



    Seiteneinsteiger sozusagen „am lebenden Objekt“ zu qualifizieren ist natürlich „Murks“. Aber wenn Seiteneinsteiger bereits seit vielen Jahren Thema sind, frage ich mich doch, warum es seit vielen Jahren keine Vergleichbare Qualifizierung gibt.



    Beide Fragen richten sich an eine offenbar völlig inkompetente Schulverwaltung.



    Was wirklich nervt ist der „Pädagogikanspruch“ der LehrerInnen. Da sage ich einmal: Sich an die eigene Nase fassen hilft da deutlich weiter! Da ist lange nicht alles Gold, was glänzt!