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Lehrerin Czerny über ihre Arbeit"Noten behindern das Lernen"

Die bayerische Grundschullehrerin Sabine Czerny hält Noten für ein Übel. Denn sie verführen Eltern und Lehrer dazu, Druck auszuüben. Ein Gespräch mit der Frau, die einen Preis für Zivilcourage erhält.

"Jeder Schüler braucht die Überzeugung: "Ich kann das!"", meint Czerny. Bild: dpa
Interview von Christian Füller

taz: Frau Czerny, vor knapp einem Jahr haben die bayerischen Schulbehörden Sie strafversetzt - wegen guten Unterrichts und der exzellenten Noten, die Ihre Schüler haben. Was machen Sie heute?

Sabine Czerny: Ich arbeite wieder an einer Grundschule. Mit 24 Kindern, die mir anvertraut sind. Das macht mir viel Spaß. Sie sind das Wichtigste.

Wie haben die Lehrer Sie aufgenommen? Immerhin lautete der Versetzungsgrund für die Lehrerin Czerny: "Störung des Schulfriedens".

Das Kollegium hat mich sehr herzlich empfangen. Ich habe auch einen aufgeschlossenen Schulleiter. Er hat sich angeschaut, wie ich arbeite und was ich anders mache.

Was machen Sie anders?

Ich mache nicht so viel anders.

Sie hatten einen Notendurchschnitt von 1,8 in Ihren Klassen. Manche Eltern sagten: "Wegen Sabine Czerny geht mein Kind wieder gern in die Schule!"

Alles, was ich tue, ist, Kindern Sicherheit zu geben. Das ist das Allerwichtigste. Sie trauen sich dann schnell selbst etwas zu, wollen mehr wissen und lernen viel leichter. Erfolgserlebnisse motivieren Kinder - und sie strengen sich weiter an. In der Schule kommen aber bald viele Prüfungen und Tests auf sie zu. Dafür brauchen sie Sicherheit.

Frau Czerny, kein Lehrer sagt: "Ich verunsichere die Kinder."

Nein, die Lehrer tun das auch nicht. Aber die Bewertungen und Noten, die sie erteilen müssen, schaffen viel Unsicherheit bei den Kindern. Eine schlechte Note trifft ein Kind ins Mark. Es verletzt sein Selbstbewusstsein. Wissen sie, für Kinder ist es nicht so schlimm, wenn sie etwas nicht verstehen. Kinder sind von einer Welt umgeben, die sie noch kaum durchschauen. Aber das schaffen sie Schritt für Schritt, durch Neugier - und Sicherheit. Nur was Kinder gar nicht wollen, ist, etwas falsch zu machen. Das verunsichert sie zutiefst. Das Bewerten und Fehlersuchen, das Bloßstellen und Herabwürdigen macht sie schwach.

Das Prinzip ist klar. Wie sieht das im Unterricht aus?

Für kleine Kinder muss Schule im Prinzip erst einmal nur schön sein. Ich will mit den Kindern eine Gemeinschaft leben. Ich will genug Zeit haben, um eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Jedes Kind soll seinen Platz bekommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es mit Sechsjährigen zu tun, die teilweise ihren Hosenstall nicht allein aufbekommen. Wenn ein Kind aus welchem Grund auch immer weint, würde ich die Atmosphäre völlig vergiften, wenn ich einfach weiter Unterricht machen würde. Wenn etwas nicht stimmt, muss ich mich darum kümmern. Lernen geht eher nebenbei.

Aber Lernen ist doch wichtig.

Ja, aber es kommt wie von alleine, wenn die Kinder sicher sind. Jeder Schüler, jeder Mensch braucht die Überzeugung: "Ich kann das!" Also werde ich jedem Kind sein Selbstwertgefühl geben. Und wenn ich weiß, dass ein Kind etwas nicht kann, dann werde ich einen Teufel tun, ihm die Frage danach zu stellen. Dann nehme ich eben ein anderes Kind dran. Kinder lernen durch das Nachahmen und das Beobachten. Wenn ein Kind etwas nicht verstanden hat, hat es das noch nicht oft genug gesehen. Daher mache ich viel vor.

Was halten Sie vom individuellen Lernen? Das gilt doch heute als die maßgebende Methode.

Ich behaupte, dass ich individuell arbeite. Ich mache viel Stationenlernen und Werkstätten. Dennoch sieht mein Unterricht generell nicht viel anders aus als der an Regelschulen. Ich finde, dass sich das Lernen schrittweise öffnen muss - je älter das Kind wird. In alternativen Schulen, die keine so strenge Leistungsbeurteilung betreiben müssen, ist das einfacher. Aber wenn wir - wie es in Bayern der Fall ist - so früh Leistung bewerten, hat für mich Sicherheit den Vorrang.

Soll das heißen, dass Noten in Ihren Augen das zentrale Problem der Schule darstellen?

Ja, sie sind ein Übel. Jeder, der sich einmal mit Noten beschäftigt hat, weiß, dass Noten fast nichts über ein Kind aussagen. Sie haben nichts mit seinen Kompetenzen zu tun, sie stehen mit seinen Leistungen in keinem Zusammenhang. Sie sagen lediglich etwas über ein bestimmtes Kriterium, das wir relativ willkürlich wählen. Im Grunde behindern Noten das Lernen.

Weil sie langsamere Kinder entmutigen?

Ja, das ist das eine Problem. Noten stellen für bestimmte Kinder eine unüberwindliche Hürde dar. Jedes Kind soll zum gleichen Zeitpunkt die gleiche Leistung zeigen - unabhängig von seinem Entwicklungsstand. Das bedeutet, wir trainieren vielen Kindern an: Ich kann nichts! Ich bin dumm! Das ist aber das Schlimmste, was wir beim Lernen tun können. Es ist so schwer, ein Kind wieder aufzurichten, das das Zutrauen zu sich selbst verloren hat. Der Unterschied zwischen einer Eins und einer Vier sind oft nur wenige Minuten. Wir geben Kindern also schlechte Noten - obwohl sie es könnten. Das System zwingt uns, Schüler zu demotivieren.

Immerhin profitieren die Schüler mit guten Noten.

Finden Sie?

Sie sind erfolgreich.

Weil sie ein bestimmtes Kriterium erfüllen, ja. Aber was hat dieses Lernen denn mit ihnen selbst zu tun? Noten sind selbst für 1er- und 2er-Schüler nicht gut. Sie zeigen doch nicht, was diese Schüler wirklich können. Die werden vielmehr dazu erzogen, Kriterien zu erfüllen, die andere setzen - aber eben nicht, sich selber zu entwickeln.

Sie sind eine Utopistin!

Ist es etwa eine Utopie, jedem etwas zuzutrauen? Jedes Kind hat das volle Potenzial, wir sollten ihm die Chance geben, es auszuschöpfen. Das sollte nicht unsere Utopie, sondern tägliche Praxis unserer Schule sein. Ich hatte einen Jungen, dem man seit der Geburt weismachte: Der Merlin ist zu spät dran, der kann es nicht! Ich finde das schlimm. Dieser Junge machte sich wunderbar, er lernte gut - nur eben ein bisschen langsamer als die anderen. Er ist ein wunderbares Kind - er braucht halt länger. Aber unser Schulsystem wird ihn in die Hauptschule stecken. Irgendwann schrieb er seiner Mutter: "Liebe Mama, ich bin halt so." Da war er sieben Jahre alt und besuchte die erste Klasse.

Warum ist es Ihnen so wichtig, dass sich das schnell ändert?

Weil ich sehe, dass so viele Kinder darunter leiden. Dieses Schulsystem zerstört aber auch die Familien. Wie viel Streit, wie viel Verzweiflung alleine wegen Schule! Welchem Lehrer geht es denn heute wirklich gut? Das bedeutet, wir haben ein Schulsystem, in dem sich niemand richtig wohl fühlt. Was soll das? Haben wir nicht genug Probleme auf der Welt, dass wir uns noch neue schaffen müssten?

Was würden Sie tun, um es anders zu machen? Sie haben drei Wünsche frei.

Ich würde erstens das Beurteilen abschaffen. Was nicht heißt, das es keine Rückmeldungen für die Kinder geben soll. Aber Noten sind Betrug, sie nützen keinem. Sie sind nur für eines wichtig - zur Auslese.

Und zweitens?

Ich würde die Kinder gemeinsam lernen lassen. Weil Vielfalt etwas Wertvolles ist und ein Gewinn für alle. Ich würde bis zur zehnten Klasse überhaupt nicht sortieren. Danach kann es eine freiwillige gymnasiale Oberstufe geben.

Sind die Talente für so etwas nicht zu unterschiedlich?

Nein, ich glaube das Problem an der Schule ist nicht die Heterogenität der Kinder, sondern die Homogenität der Leistungsbeurteilung. Alle Kinder müssen über dieselben Hürden springen, das wird keinem gerecht. In Wahrheit sind die Kinder nicht so weit auseinander, wir erzeugen diese Differenzen künstlich.

Und das Dritte?

Die zwei Dinge reichen.

Haben Sie keinen Tipp für die Eltern? Sie sind es doch, die am meisten auf Noten drängen.

Das ist doch kein Wunder. Seit 150 Jahren kennen Eltern nur dieses eine Schulsystem mit Noten. Nun steigt der Druck in der Pisa-Krise. Also benutzen Eltern die Noten, um herauszufinden, was zu retten ist für ihr Kind. Und merken gar nicht, dass sie den Druck nur weiter erhöhen.

Wieso passiert so etwas?

Eltern glauben, dass es für ihr Kind immer nur gute Noten geben wird. Sie klammern sich an Noten - und merken dann plötzlich, dass auch ihr Kind zu den Verlierern gehört.

Es ist ein Teufelskreis.

Bei Eltern herrscht die Denke vor, dass sie, wenn sie nur früh genug anfangen, gute Noten erzwingen können. Das Problem daran ist, dass Kinder unter Druck nicht lernen können und auch nicht wollen. Es macht ihnen keinen Spaß, stundenlang mit den Eltern zu pauken - nur für gute Noten. Das ist ein völlig falscher Lernbegriff.

Und wie geht es Ihnen, Frau Czerny?

Im Prinzip geht es mir gut. Ich habe auch viel Arbeit. Aber es schmerzt, für gutes Lernen nicht belohnt, sondern an den Pranger gestellt worden zu sein. Meine Kinder waren glücklich und sie waren gut.

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11 Kommentare

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  • JS
    Jürgen Schwartz

    Hallo denninger,

    unter welchen Umständen sind denn Noten objektiv?

    Verrat's uns.

  • D
    denninger

    Ja, "Jürgen Schwartz" der Frage nach der Objektivität der vergebenen Noten muss sich jede Lehrkraft stellen. Aber Deine These, Noten seien niemals objektiv, ist so nicht haltbar.

  • JS
    Jürgen Schwartz

    Ach denninger, ich kann ja Deinen Zeilen durchaus folgen, aber was Du stillschweigend wegläßt ist die Frage nach der Notenvergabe, anders gesagt, nach der Objektivität der Noten.

    Was bei dem einen Lehrer eine glatte 2 ist, kann bei einem anderen eine klare 5 oder sogar 6 sein. Selbst ein und der selbe Lehrer vergibt Jahre später für die selbe Arbeit unterschiedliche Noten!

  • D
    denninger

    Ach Tobias, ausgerechnet ich soll Dir den Wert des Menschen erklären?

    Je nach Einstellung kann der "Wert" einer Person nach den Kriterien Beitrag zum BIP, Produktivität, sozialer Beitrag zum Gemeinwesen, Steuerbeitrag oder gar nicht bestimmt werden.

    Der Mensch als Individuum ist für mich ohne bezifferbaren Wert, da er außerhalb jeder Werteskala steht.

    Aber zum eigentlichen Thema:

    Wieso sollen Noten per se "Manipulation" sein? Natürlich sollen sie den Benoteten beeinflussen. Wie ein Motivationsgespräch auch.

    Zu dem Thema Studienzulassung:

    Wie soll ein Test abgehalten werden zu einem Themenbereich, welchen man sich erst wissenschaftlich erarbeiten will? Also wie gehabt (Stichwort Medizinertest) mit Mathe, Physik, Chemie, etwas IQ-Test und.... so wie das Abitur halt auch.

    Du hast das Beispiel offenbar nicht verstanden:

    Wenn eine Lehrkraft im Rahmen ihrer pädagogischen Freiheit vorsätzlich bestimmte Notenbereiche nicht verwendet ist die Benotung nicht mehr nachvollziehbar (Stichwort Schul- und Kammernote; Warum ist jetzt "ungenügend" was vorher noch "ausreichend", fast "befriedigend" war?).

    Wie Du so schön sagst: "Ziel der Schule sollte der mündige Mensch sein." Wie soll der Mensch denn mündig sein, wenn er zwar selbstbewusst und sozial engagiert ist, jedoch sich selbst nicht objektiv bewerten kann. Dann will das Kind im "denninger" wieder Arzt sein.

    Noten führen zur Selbstbewertung und (im positiven Fall) zur Selbstbestätigung. Das ist auch wein Beitrag zur Mündigkeit.

    Wenn Du Noten allerdings immer als Folge externer, nicht zu beeinflussender Ereignisse siehst ("Schwein gehabt", "netter Lehrer", "fiese Arbeit"...) wirst Du auch nie mündig sein.

     

    Und, noch etwas Persönliches zum Schluss:

    Ich bin es leid, als Ausbilder Azubis anzuleiten, die zwar "methodenkompetent" und "handlungsorientiert" die allgemeinbildenden Schulen absolvierten aber nicht in der Lage sind, einen Dreisatz zu verstehen oder einfach mal zuhören können. Statt einer Berechnung (Dreisatz) zur Arbeitsvorbereitung könne er mir ja eine Mindmap über den Beruf erstellen sagte mir einmal einer der Azubis.

  • A
    Anonymous

    Ich als Shüler bin durchaus der Meinung Frau Czernys - Noten sind, das möchte ich noch hinzufügen, ein Raster. Nun versagt dieses Raster aber leider. So kennt doch sicherlich jeder die Geschichte das Einstein, nach Bewertung dieses Rasters, ein Versager war. Das Problem liegt in der Begrenztheit dieses Bewertungssystems denke ich - So war Einstein durchaus in der Lage höchst abstrakt zu denken, Informationen zu verarbeiten und zu lernen- alles Attribute die nicht durch dieses Raster abgefragt werden- Es werden Ergenbisse verlangt.

     

    Ich z.B. bin in der Lage in einer UNIX-Shell zu programmieren, habe Erfahrungen im Bereich des Computerspieledesigns und kann darüber hinaus auch nicht schlecht zeichnen. Alles Talente und Fertigkeiten die Aufgrund ihrer Spezialisierung nicht bewertet werden können. (Abgesehen von dem Zeichnen)

     

    Meiner Meinung nach sollte in der Schule ein Basiswissen vermittelt werden, welches dann Individuell gefördert werden- In der Schule lernt man Englisch, Deutsch, sowie Grundfertigkeiten der Mathematik, Informatik und Biologie sowie Physik.

     

    Nun würde man Kurse belegen können- Informatik, Mathematik, Physik, Chemie Biologie, Kunst, Musik, Literatur aber auch spezielleres wie Netzwerktechnik, Medizin oder Optik, in Form von Aktionswochen o.Ä.. Das mag sich ein bisschen zu anspruchsvoll anhören, aber ich würde mit Vergnügen zwei Stunden länger in der Schule sitzen um zu lernen wie ein UNIX-Kernel funktioniert!

     

    Ich sehe grad das ich an dem Thema total vorbei bin, da ich mich auf Oberschulen bezogen habe, der Artikel hingegen auf Grundschulen. Dennoch währe mindestens eine Reform, wenn nicht eine Revolution des Schulsystems dringend notwendig.

  • T
    Tobias

    Ach "denninger", woran machst du fest, dass Noten nicht den Wert eines Menschen festlegen? Und woran wird dMn. der Wert eines Menschen festgemacht? - In der Gesellschaft hat nur zu sagen, wer gute Noten hat. Weil gute Noten von Bildung zeugen.

    Du unterstellst Frau Czerny, sie habe nicht erkannt, dass es bei Noten "vor allem um die Bestimmung des Wissensstandes". Dabei hast du nicht erkannt, dass Frau Czerny genau das (mMn. zurecht) kritisiert. Sie kritisiert, dass diese Denkweise über Noten eine Illusion ist. Noten sind kein Maßstab, sondern Manipulation!

    Um bei deinem Beispiel des Arztes zu bleiben: Warum berechtigt ein 1,0 Abischnitt zum Medizinstudium? Woran macht man fest, dass ein 2,0 Abischnitt weniger für diese Profession geeignet ist? Vielleicht ist etzterer chirurgisch viel talentierter. Warum ersetzt man dieses nichtssagende Notenabstrakta namens NC nicht durch studienfachspezifische Tests?!

    Ich empfehle dir mal das Montessori-Konzept zu betrachten. Dort wird dir kompetent weitergeholfen, inwiefern man Maßstäbe setzen muss. Dort wirst du den selben Schluss vorfinden, wie in Czernys Interview: Noten sind ein trügerischer Maßstab (das hast auch du mit einem eindrucksvolen Beispiel belegt).

     

    Ich stimme Frau Czerny 100% zu...und würde ihre Aussagen gerne erweitern: Das Notensystem ist Spiegelbild der Gesellschaft bzw. eher umgekehrt. Das zeigt sich an der Finanzmarktkrise: Konkurrenz, Maßstäbe werden zur Lebenseinstellung welche egoistische Gier beinhaltet.

    Warum Maßstäbe in Form von Noten? Warum nicht, wie Montessori es (traurigrweise) nun schon vor einem propagierte: Freiheit und Selbsttätigkeit (mit eigener oder gemeinsamer Fehlerkontrolle) führt zu einem gesunden Selbstbewusstsein, das stark genug ist, sich in Freiheit sozial zu engagieren.

    Ziel der Schule sollte der mündige Mensch sein. Ich wüsste nicht, inwiefern Noten mündig machen.

  • N
    neko

    Fehlende Noten werden immer mit fehlender Rückmeldung gleichgesetzt. Das ist so nicht richtig. Ich bekam ein Zeugnis aus der 1. Klasse, da stand einiges drauf. Z.B. "kann gut im Einser-Bereich rechnen, Umgang mit dem Lineal fällt noch schwer etc." Ich hatte keine Ahnung, ob das besser oder schlechter war als Tom oder sonst wer, aber ich wußte, wo noch Übungsbedarf bestand. Jetzt habe ich Noten, weiß aber nicht, wo Lücken sind.

    Berufsschüler sind bereits durch dieses System gegangen, haben also dieses System schon verinnerlicht. Das geht innerhalb von 1o.2 Jahren. Und Frau Czerny IST sehr erfolgreich. Das sollte eigentlich etwas mehr zählen.

  • D
    denninger

    Ach "anke", Schulnoten sind nicht dafür da, den "Wert" eines Menschen zu bestimmen. Weder im "Kapitalismus" noch im "Sozialismus" noch sonstwo.

    Es geht bei Noten, und das hat Frau Czerny nicht bemerkt, vor allem um die Bestimmung des Wissensstandes der Schüler.

    Willst Du ein reales Beispiel? Vor einigen Jahren wurde das Notensystem einer Berufschule vom "Kammerschlüssel" (50%der Punkte=Note 4,4) auf den "Schulschlüssel" (50%der Punkte=Note 3,5) umgestellt.

    Hurra, super, alle Schüler haben bessere Noten, jeder ist glücklich, wir alle sind toll.... bis zur Kammerprüfung.

    Da zeigte sich, das die Lernmotivation gerade bei schwachen Schülern nicht mehr gegeben war und die Durchfallquote sich verdoppelte.

    Ein befragter Schüler sagte wörtlich: "Aber ich hatte doch immer Dreier und Vierer! Das hätte doch reichen müssen!"

    Nein, das "reicht" dann eben nicht mehr "aus" wenn Noten mit unterschiedlichem Bezug vergeben werden. Den Schülern wurde zwar über die Jahre auch die "Kammernote", also die Note nach dem Kammerschlüssel mitgeteilt, aber das hatte offenbar kaum Auswirkung auf das Lernverhalten.

    Ist das System der Kammernoten ungerecht? Ich finde nicht. Eine Demonstration von weniger als 50% des erforderlichen Fachwissens kann nicht zur Befähigung in einem Lehrberuf führen.

    Noten können weh tun. Aber welchen vergleichenden Bewertungsmaßstab soll es denn sonst geben? Etwa gar keinen? Na toll, da wird die Binnendifferenzierung zur unlösbaren Aufgabe, wenn der bildungsferne Schüler mit schwerer LRS zunächst nicht vom hochmotivierten Überflieger unterschieden werden kann. Und worauf läuft das Bildungssystem dann hinaus? Logisch, es findet keine Binnendifferenzierung mehr statt. Das ist zwar verheerend für die Schwächeren, aber immerhin haben sie ja keine schlechten Noten mehr.

    Was Frau Czerny auch nicht wahrhabenwollte ist dass die Benotung im Hinblick auf die Bildungsempfehlung durchaus eine wichtige Rolle spielt.

    Aber, "anke", wie stellst Du Dir denn das "neue" Bildungssystem ohne Bewertung vor? Keine Bewertung heisst doch, dass kein vergleichender Maßstab angelegt wird.

    Ich frage mich, was ich in diesem System machen würde. Ach ja, ich wollte eigentlich immer Arzt sein. Ich habe zwar keine Ahnung von der Materie aber ohne Noten ist die Zulassung ja kein Problem mehr. Ärzte werden gebraucht also darf auch ich ran. Moment, und der Patient? Na, wenn er Glück hat, gerät er an einen fähigen Arzt oder überlebt wider Erwarten meine Behandlung. Das kann es wohl nicht sein, oder?

    Bismark hatte schon Recht; Wir lernen für das Leben. Aber da das Leben nicht nur aus intrinsisch motivierter Freizeitgestaltung besteht sondern genauso aus einem produktiven Beitrag zur Gesellschaft werden wir neben dem Wissen und der Motivation auch die Qualifikation benötigen. Und Qualifikation lässt sich nur mit einem vergeichenden Maßstab bewerten.

  • DW
    Dirk Wahlen

    Hallo,

    hört sich alles ganz gut an,

    aber was wenn´s an arbeiten oder studieren geht,

    dann ist der Druck da und man kann nicht damit umgehen!

    Wie auch, wenn man´s nicht gelernt hat,

    wir haben die Leistungsgesellschaft, also MÜSSEN

    die Kinder Noten bekommen.

    Vielleicht ist es in Bayern ja anders aber mit z.T.

    70% Migrantenanteil in den Klassen sieht es in NRW

    leider anders aus.

    Ich bin jedenfalls froh, das sich spätestens ab der vierten die Wege trennen und dann an verschiedenen Schulen jeder seinen Weg geht!

    MfG

    D.Wahlen

  • VP
    Victoria Plank

    Täglich erlebe ich als Lehrerin an einer Privaten Bayerischen Wirtschaftsschule die Auswirkungen dieses Schulsystems, das Frau Czery zu Recht kritisiert: Bei uns landen Kinder, die aus unterschiedlichen Gründen durchs Raster gefallen sind, aussortiert wurden, Anforderungen nicht entsprechen konnten. Es kommen hochbegabte Kinder, die auf der Hauptschule gestrandet sind, weil man ihre Begabung nicht erkannte, verunsicherte, frustrierte Kinder, für die Schule nur Qual bedeutet. Und das nur, weil sie vielleicht anders denken, an normierten Prüfungsstandards "scheitern", mit Prüfungssituationen nicht zurecht kommen. Unser Schulsystem verleitet dazu, auszusortieren anstatt Kinder zu fördern. Andere Länder (die nicht umsonst bei Pisa wesentlich besser abschneiden), machen es uns vor: Fördern, statt nur fordern, die Kinder länger beieinander lassen, ihnen die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln. Der angestrebte Abschluss muss am Ende der Entwicklung stehen, nicht am Anfang. Und wenn man sich anschaut, welche Schule hier in Deutschland Bildungspreise bekommen, sind das Reformschulen, die über den Tellerrand geschaut haben und solche Ideen umsetzen.

  • A
    anke

    Es ist wahr, Eltern und Lehrer fordern Noten. Das liegt aber nicht nur daran, dass sie meinen, sie könnten gute Noten erzwingen. Der Wunsch, Zwang auszuüben, ist nur eine Folge der Tatsache, dass man den Menschen einredet, sie bräuchten externe Maßstäbe. Es genügt nicht, zu wissen was man weiß oder zu beherrschen was man beherrscht – und sich damit zufrieden zu geben. Man muss auch für die Anderen beurteilbar sein. Wer nämlich nicht beurteilbar ist, der ist unverkäuflich. Und wer unverkäuflich ist, der findet nur schwer einen angenehmen Platz auf dieser zu einem einzigen großen Markt mutierten Welt. Es ist nicht die Pisa-Krise, die Eltern nach Noten fragen lässt. Es ist die Angst, andere Menschen könnten nicht erkennen, welchen Wert ihr Kind besitzt, wenn ihm kein Preisschild anhängt. Diese Angst sorgt dafür, dass sogar diejenigen unter den Eltern, die ihr Kind so wenig unter die Gewinner zählen wie sich selbst, von der Schule verlangen, sie möge doch den Kindern ihren Strichcode aufprägen. Eine idealistische Lehrerin allein wird an diesem Verlangen und an dieser Angst leider gar nichts ändern. Denn wie heißt es so schön? Für das Leben lernen wir, nicht für die Schule. Wenn wir also wirklich wollen, dass unsere Schulen sich ändern, müssen wir unser Leben oder doch wenigstens unsere Einstellungen umkrempeln. Und das ist ganz schön viel verlangt von Leuten, die in Schulen von gestern unterrichtet wurden, finde ich.