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Legitime Bedürfnisse

■ Zum Abschluß der Genfer Gatt-Verhandlungen

Die Zeiten, in denen internationale Handelsfragen bei Zusammenkünften lediglich zwischen den sieben führenden westlichen Industriestaten gelöst werden können, sind vermutlich endgültig vorbei. Auf der wohl letzten Veranstaltung dieser Art Mitte Juli im texanischen Houston half den sieben die Euphorie angesichts des „Sieges“ der kapitalistischen Markt- über die staatliche Planwirtschaft noch einmal, die arrogante Illusion eines „Weltwirtschaftsgipfels“ zu erzeugen. Zugleich wurden die drängenden Wirtschaftsprobleme für zwei Drittel der Staten und der Weltbevölkerung weitgehend unter den Teppich gekehrt. Spätestens bei den Gatt-Verhandlungen diese Woche in Genf sind die in Houston gefundenen Kompromißformeln wie eine Seifenblase zerplatzt.

Ohne eine Berücksichtigung legitimer Bedürfnisse der bislang im internationalen Waren-, Geld- und Dienstleistungsverkehr Benachteiligten wird es im Dezember keinen neuen Welthandelsvertrag im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) geben. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Keine offenen „Drittwelt„-Märkte für Kreditkarten, Computertechnologien und Banken aus Frankfurt, Tokio oder Kalifornien ohne Abbau der Importschranken in den Industrieländern für T-Shirts, Bananen oder Saatgut aus Ecuador, Burma oder Kenia. Scheitert die Uruguay-Runde im Dezember nach vierjährigen Verhandlungen endgültig, drohen offene Handelskriege mittels verschärfter Importbarrieren und anderer protektionistischer Maßnahmen. Die Wirtschaftsriesen EG, USA und Japan würden dies eine zeitlang aushalten können, für die Mehrheit der „Drittwelt„ -Staaten hätte dies jedoch katastrophale Auswirkungen.

Um genau das in den für Verhandlungen verbleibenden vier Monaten noch abzuwenden, müssen vor allem die politisch Verantwortlichen von EG und USA zuvor ihre Hausaufgaben machen - das heißt, sich vom Einlfuß mächtiger Agrar- oder Schiffsbauerlobbies befreien. Ansonsten würden auch weiterhin die Differenzen zwischen den kapitalistischen Hauptmächten über Agrarsubventionen oder Antidumpingmaßnahmen die Szene beherrschen - ein „Rauchvorhang“ (so Brasiliens Gatt-Botschafter), hinter dem jedoch wie in Genf diese Woche nichts entschieden und nur verschoben wird, und wo für die Behandlung der Interessen der „Drittwelt„-Staaten kein Raum bleibt. Ein abgekartetes Spiel zwischen Brüssel, Tokio und Washington, argwöhnten viele der in der Hoffnung auf substantielle Verhandlungen enttäuschten VertreterInnen aus Afrika, Asien und Lateinamerika in Genf. Zugleich machten sie unmißverständlich deutlich, daß sie sich dem „Diktat“ eines im kleinen Kreis weniger großer Wirtschaftsmächte ausgehandelten Gatt-Abkommens nicht beugen werden. Die nächsten Monate werden zeigen, ob diese Botschaft in Brüssel, Washington und Tokio angekommen ist.

Andreas Zumach

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