piwik no script img

Leerstand

■ Mit dem Aus für der Deutschen bei der Fußball-EM sind die schönen Zeiten vorbei

Flatterhafte Stille... Schwalben vergnügen sich am Himmel. Kaum jemand, der ihnen zuschaut. Keiner da, den Blick nach oben zu richten.

Einmalig. Nie war das Zwitschern der Vögel deutlicher zu hören - nichts stört ihren Gesang. Ein zarter Wind umschmeichelt die Kronen der Bäume.

Die Krone der Schöpfung ist abwesend. Einsamkeit in einer Millionenstadt. Der Mensch fehlt. Hat sich rar gemacht. Die Straßen lechzen nach ihrer Bestimmung - doch niemand tritt sie. Eine Stadt läßt ihre Bürger verschwinden.

Da! Vorsicht! Ein etwas irritierter Autofahrer sucht einen Parkplatz. Vergeblich: Alle Mitbürger sind bereits zu Hause, seit Stunden schon. Alles hechelte bereits am Nachmittag nach diesen zweimal 45 Minuten, wimmerte nach der Freigabe der großen Bühne für die Inszenierung der verzweifelten Exstase. Schweißgebadet müssen sie jetzt sein.

Beim letzten Mal war es noch wärmer. Da waren all die Fenster offen, und sowohl das unterdrückte Stöhnen als auch das befreite Gröhlen ergoß sich orgiastisch ins Freie.

Fenster geöffnet. Hitzewellen schwappen auf die Straße. „Sauber, sauber...“ schreit einer von ihnen. Männer. Männerstimmen. Die Orgie um das Rund des Leders ist etwas für Hodenträger.

Der Gang durch die Straßen verschafft Erholung. Eine Kurpromenade ist nichts dagegen. Kein Tag so wunderschön wie heute: Die Gartenlokale haben jede Menge freie Tische zu bieten. Der Pizzabäcker mit dem Glasauge meint, eigentlich habe er nichts nötiger als einen tragbaren Fernseher.

Seine Gäste im Garten nicken verschwörerisch, als von Fernsehen und Fußball die Rede ist: Verwegene - sie sollten sich nicht so unbesorgt geben, vielmehr ehrliche und erschütterte Angst vor den Konsequenzen zeigen: So abnorm und außerhalb der Regel werden sie den nächsten Tag kaum überleben.

Der blaue Himmel wölbt sich über trauriger Resonanz: Immer wieder platscht Enttäuschung auf das Pflaster. Bang wird manch einem Ignoranten um das Herz - wird man/frau nach der Fernsehübertragung noch ungefährdet auf die Straße gehen können? Was, wenn das Kainsmal des Uninteressierten (gänzlich unbeabsichtigt) leuchtend rot die Nacht erhellt? Niemand wird uns schützen, wenn heute nacht keine Tore fallen.

Detlef Berentzen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen