Leerstand im Münzviertel: Wider die Erstarrung
Trotz massiven Leerstands müssen Studenten der Hafencity Universität vom Bauwagen aus ihre Pläne für das Quartier entwickeln. Politik ist mäßig interessiert.
Direkt an der Bahntrasse zum Hauptbahnhof steht er nun: der kleine grüne Bauwagen. Mit dem "mobilen Entwurfsbüro" konterkarieren die Studierenden der Hafencity Universität (HCU) auf dem Münzplatz die stadtentwicklungspolitische Unbeweglichkeit.
Denn im Münzviertel stehen viele Gewerberäume seit Jahren leer, und nicht einmal die Bahn, die ihre Züge in hoher Frequenz am Viertel vorbeirauschen lässt, ist bereit, den Planern leer stehende Räume für zwei bis drei Monate zur Verfügung zu stellen. "Und das, obwohl die mit der Kreativagentur zusammenarbeitet", sagt Nina Brodowski. Die Kulturwissenschaftlerin koordiniert das Projekt der Stadtplaner, Architekten und Urban Designer und nennt ihr Vorgehen "investigativen Urbanismus".
Das Leerstands-Problem ist auch dem zuständigen Bezirksamt Mitte bekannt. Wenn die Eigentümer kein Interesse haben, ihre Räume zur Verfügung zu stellen, hat es aber keine Handhabe. Deshalb unterstützt es das Bauwagen-Projekt.
Die HCU-Studierenden planen die Entwicklung frei werdender Flächen derweil in einem Testverfahren und gehen dabei vom Bedarf des Quartiers aus. Wenn die Gehörlosenschule 2012 geht, soll das Areal zwischen Hühnerposten, Münzstraße und Norderstraße für die Wohnnutzung umgewidmet werden. Die Planer hoffen, dass ihre Kriterien mit dem dann anstehenden Wettbewerb kompatibel sind.
Die Planungen der HCU kommen auch den BewohnerInnen mit ihrem Ansatz einer "Stadtumgestaltung von unten" entgegen. Im Viertel mit Insellage zwischen St. Georg und Hafencity arbeiten sie seit neun Jahren ehrenamtlich. Günter Westphal, der die Stadtteil-Initiative ins Leben rief, geht es darum, im sozialen und politischen Raum mit ästhetischen Kriterien zu arbeiten. Die Quartiersarbeit versteht er selbst als Kunst, bei der man den Stadtteil gemeinsam umgestaltet. Seitdem hat das Münzviertel viele Projekte hervorgebracht: ein Straßenfest, Kunst im öffentlichen Raum und eine Food-Coop.
Das Münzviertel liegt zwischen St. Georg und Hafencity am östlichen Rand von Hamburgs Innenstadt.
Das kleinste Entwicklungsgebiet Hamburgs hat rund 1.150 BewohnerInnen auf 13,1 Hektar Gesamtfläche bei 21,3 Prozent Brachfläche und 22,1 Prozent Verkehrsfläche.
Viele soziale Einrichtungen sind hier beheimatet: Einrichtungen für Wohnungslose, psychisch Kranke und Menschen mit Behinderung, eine Kontakt- und Beratungsstelle mit integrierten Drogenkonsumräumen in unmittelbarer Nähe.
Die drei Leitthemen des "mobilen Entwicklungsbüros" sind Kunst und Soziales, Wohnen und Bewohner sowie die Gestaltung des öffentlichen Raums. Dabei ist die Stabilisierung des Quartiers als Wohnstandort ohne Verdrängungseffekte anvisiert.
Unlängst hat die Schulbehörde dem Schlüsselprojekt der Quartiersplanung, dem Werkhaus, allerdings eine Absage erteilt. Auf taz-Anfrage wollte sich die Behörde bis zum Redaktionsschluss am Dienstag nicht dazu äußern. Die Produktionsschule, in der 18- bis 25-Jährige ohne Abschluss handwerklich arbeiten sollten, habe nicht ins Ausschreibungsdesign gepasst.
Die Idee der Modellschule ist, so Günter Westphal, eine Verschränkung von Pädagogik, Kunst und Quartiersarbeit, bei der die Produkte vor Ort genutzt werden sollen und die Schüler als Akteure des Viertels Verantwortung übernehmen. Auch die rund 160 Obdachlosen, die im Herz As gemeldet sind, will man einbinden.
"Wir haben unsere Arbeit gemacht und ein Konzept geliefert, mit dem man das Gemeinwesen im Viertel stärken kann", sagt Westphal. Das Werkhaus sei ein Experiment, aber Experimente seien bei der Schulbehörde wohl nicht vorgesehen. "Wir sind jetzt dabei, herauszufinden, ob das die allgemeine Haltung der Politik ist", so Westphal. Er selbst ist überzeugt, dass das Werkhaus-Konzept funktioniert, "weil wir es tagtäglich erfahren".
"Gerade wenn das Quartier engagiert ist, gibt es immer wieder Raumbedarf", bestätigt Kulturwissenschaftlerin Brodowski. Das Besondere am Münzviertel seien die Offenheit der Bewohner gegenüber Nutzern und Politik. "Im Hinterhof von St. Georg engagieren sich nicht etwa Eigentumswohnungsbesitzer, sondern Leute, die zur Miete wohnen."
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