: Lech Walesa wird demontiert
■ Tiefe Krise der polnischen Gewerkschaftsbewegung ein Jahr nach Übernahme der Regierungsverantwortung
Warschau (ap/afp/taz) - Die polnischen Gewerkschaftsbewegung „Solidarität“ steht nach dem Bruch von 63 prominenten Kämpfern der ersten Stunde mit ihrem Vorsitzenden Lech Walesa vor der Spaltung. Dem Arbeiterführer gelang es im Verlauf eines stürmischen Treffens mit den Weggefährten und Beratern aus Kriegsrechtszeiten am Sonntag in Warschau gerade noch, einen Beschluß über die Auflösung des 200 Mitglieder starken Bürgerkomitees - der 1988 gegründete politische Flügel der Solidarnosc - um einen Monat zu verschieben. Doch der Riß durch die „Solidarität“ ist nicht mehr zu kitten.
Die 63 Komiteemitglieder, darunter Gründungsmitglieder der Solidarnosc wie Zbigniew Bujak, Adam Michnik, Bronislaw Geremek und Jacek Kuron, erklärten in einem Brief an Walesa, die Zeit des Bürgerkomitees sei abgelaufen. Bujak sagte, Walesa könne nicht mehr auf das Wissen des Bürgerkomitees zurückgreifen. „Das ist ein Komitee, in dem merkwürdige Positionswettkämpfe stattfinden. Wer unterstützt, wer schmeichelt, bekommt ein Amt. Das bedeutet, daß meine Mitarbeit in dem Komitee beendet ist.“
Dieser offene Bruch innerhalb der Solidarnosc zwischen den Anhängern Walesas und denen von Ministerpräsident Mazowiecki, bildet das Vorspiel für die kommenden Präsidentschaftswahlen in Polen. Walesa kann außer mit der Unterstützung eines großen Teils seiner Gewerkschaft auch mit der des eben erst gebildeten „Kartells der Mitte“ rechnen. Hinter Mazowiecki stehen unter anderem die Warschauer und Krakauer Intellektuellen, die Walesa unlängst verächtlich als „Eierköpfe“ bezeichnete. Siehe Seite 9
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