Lebensmittelsicherheit in der EU: Neue Expertin mit Gschmäckle
Ursula Gundert-Remy hat jahrelang einen Lobbyverband der Nahrungsmittelindustrie beraten. Jetzt bewertet sie als Expertin der EU den Süßstoff Aspartam. Geht das?
BERLIN taz | Kann eine Frau, die jahrelang einen Lobbyverband der Nahrungsmittelindustrie beraten hat, bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) glaubwürdig unabhängig arbeiten? Diese nur scheinbar rhetorische Frage beantwortet die Efsa mit einem klaren Ja. "Wenn Sie immer alle Experten ausschließen, die irgendwann einmal für die Industrie gearbeitet haben, werden Sie nicht viele Experten haben", sagte Efsa-Chefin Catherine Geslain Lanelle der taz.
Konkret geht es um die Toxikologin Ursula Gundert-Remy, die seit diesem Jahr für die Efsa Zusatzstoffe in Lebensmitteln wie Getränken, Fast Food oder Süßigkeiten beurteilt. Mit anderen ExpertInnen soll sie bis Juli 2012 unter anderem den Süßstoff Aspartam neu bewerten.
Nach mehrfachen Anfragen gab sie im Gespräch mit der taz zu, zuvor das International Life Science Institute (Ilsi) maßgeblich unterstützt zu haben, das von Firmen wie McDonalds, Coca-Cola und Red-Bull - und Ajinomoto, dem führenden Hersteller von Aspartam, getragen wird. Auch die Ilsi-Pressestelle bestätigte, dass Gundert-Remy von 2005 bis 2009 wissenschaftliche Beraterin gewesen ist. Bei der Efsa gab sie diesen Kontakt jedoch offenbar nicht offiziell an. Die EU-Kommission folgt bei der Zulassung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln meist den Stellungnahmen der im italienischen Parma ansässigen Efsa.
"Es ist für mich nicht glaubwürdig, dass Frau Gundert-Remy diese Arbeit ohne jede Aufwandsentschädigung oder andere Begünstigungen gemacht hat. Die fachliche Abgrenzung zu Ihrer Tätigkeit bei der Efsa ist nicht nachvollziehbar", sagte Gentechnikexperte Christoph Then vom Projekt scouting biotechnology, das unabhängige Risikoforschung unterstützt, der taz.
Kein Einzelfall
Ein Efsa-Sprecher wies den Vorwurf zurück, Gundert-Remy könne in einem Interessenkonflikt stehen oder bei ihren Einschätzungen parteiisch agieren. Die Zusammenarbeit mit dem Ilsi sei ehrenamtlich und ohne Entlohnung gewesen.
Schon in der Vergangenheit waren immer wieder Mitglieder der Behörde in die Kritik geraten, weil sie die Industrie beraten haben oder nach einer Tätigkeit bei der Efsa zu Unternehmen wechselten. Unter der Hand ist aus der Behörde zu hören, dass etwa jeder vierte Mitarbeiter mit dem Ilsi zusammengearbeitet habe. Der Europäische Bürgerbeauftragte Nikofros Diamandouros hatte die Efsa aufgefordert, ihre Regeln für Mitarbeiter zu überarbeiten, um mögliche Interessenkonflikte zu vermeiden. Laut taz-Informationen war Gundert-Remy im Juni dieses Jahres auf einem Workshop der Ilsi. Der Kontakt ist also noch nicht beendet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance