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Archiv-Artikel

Lebensmittelkunde statt Skandalen KOMMENTAR VON RALPH BOLLMANN

Wieder einmal erweist sich der Skandal als das Medium der Ahnungslosen. Ob ein Dönerspieß aus massivem Fleisch besteht oder aus zusammengemanschten Abfällen, kann jeder Konsument leicht auf den ersten Blick erkennen. Wer von Lebensmitteln auch nur den geringsten Schimmer hat, entschied sich schon immer für die Fleisch-Version – weil der Müll-Döner auch dann nicht appetitlich ist, wenn die eingearbeiteten Schlachtabfälle das Verfallsdatum nicht überschritten haben.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich hat auch der ahnungslose Verbraucher ein Recht auf hygienisch einwandfreie Nahrung, und zwar ganz unabhängig davon, ob die betreffenden Produkte das Label „Bio“, „Slow Food“ oder „Aldi“ tragen. Aber die Psychopathologie jener Lebensmittelskandale, die in immer kürzeren Abständen für Erregungswellen sorgen, steht zur Logik guter Ernährung in einem so krassen Widerspruch wie die Grass-Debatte zum zeithistorischen Erkenntnisgewinn.

Für Konsumenten in Deutschland bedeutete beispielsweise die Tierseuche BSE zu keinem Zeitpunkt ein nennenswertes Risiko. Dennoch stiegen die Verbraucher massenweise von qualitativ hochwertigem Rind-, Kalb- oder Lammfleisch auf minderwertige Wurstprodukte aus Schlachtabfällen von Schwein oder Geflügel um. Zuvor hatten Berichte über harmlose Larven im Fisch dafür gesorgt, dass der Absatz dieses vergleichsweise gesunden Nahrungsmittels drastisch zurückging.

Dabei weiß der Verbraucher bei unverarbeiteten Lebensmitteln wie einem Stück Fleisch oder einem ganzen Fisch immer noch am ehesten, was er bekommt. Solche Artikel sind in den Supermärkten aber seit Jahrzehnten auf dem Rückzug, weil die Deutschen lieber Fertigprodukte kaufen – das Fischfilet mit Sahnesoße und Zucker oder den Döner vom Gammelspieß.

Manche Kassiererin im Supermarkt kapituliert heutzutage schon beim Abwiegen von Schwarzwurzeln, weil sie das traditionelle Gemüse gar nicht mehr im Urzustand kennt. Mag sein, dass diese Entwicklung nur dem Prozess der Zivilisation folgt. Für eine gute Ernährung aber wäre ein bisschen Warenkunde hilfreicher als periodisch wiederkehrende Skandale.