: Lebensmittel der Ex-DDR extrem verseucht
■ Bundesgesundheitsministerium legt deprimierende Analysen vor/ Hohe Belastungen mit Pestziden, Nitraten und Dioxinen
Berlin (adn/dpa/taz) — Die Lebensmittel auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sind in extremen Ausmaßen mit Schadstoffen belastet. Sämtliche jetzt vom Bundesgesundheitsamt ausgewerteten Proben enthielten einen hohen Anteil an Quecksilber und Kadmium. Am höchsten belastet seien Gemüse und Gemüseerzeugnisse (55,3 Prozent), besonders Spinat, Getreide (72,8 Prozent) sowie Kartoffeln (78,7 Prozent). Mit extrem hohen Dioxinbelastungen von Lebensmitteln sei im Umkreis von Hüttenwerken zu rechnen. Hier werde in zahlreichen Fällen der Richtwert für Böden „massiv überschritten“. Namentlich nannte Pfeifer den Raum Ilsenburg im Harz.
Auch die Nitratbelastung in pflanzlichen Lebensmitteln sei in Ostdeutschland höher, besonders bei Spinat und Rhabarber.
Diese alarmierende Bilanz zog Anton Pfeifer, Leiter der Berliner Außenstelle des Bundesgesundheitsministeriums am Donnerstag vor der Presse in Berlin. Problematisch sei, daß die Rückstände von Pestiziden, Nitraten und anderen Giften bisher nur ungenügend analysiert wurden. Auch sei man sich bei den bisher unter Verschluß gehaltenen Daten nicht sicher, „ob äußere Einflußnahmen auf die Auswahl der erfaßten Daten" durch damalige Verantwortliche vorgekommen seien.
Sehr hohe Belastungen mit den Pestiziden DDT, Lindan und Hexachlorbenzol wurden bei Eiern registriert. Das in der BRD seit 1971 verbotene DDT wurde in der DDR noch lange Zeit durch Agrarflugzeuge „weiträumig ausgebracht".
Auch bei Fischen und Fischerzeugnissen sei die Belastung „enorm hoch“, 88 Prozent der untersuchten Produkte hätten hohe Kontaminationswerte vor allem an Schwermetallen aufgewiesen. Auch bei Wild wurden Höchstmengenüberschreitungen bei Quecksilber festgestellt. Vor allem Wildschweine, die gebeiztes Saatgut von Feldern fraßen, hätten besonders hohe Quecksilberwerte aufgewiesen. Auf die Dioxinbelastungen im Raum Ilsenburg eingehend, unterstrich Pfeifer, daß in solchen Problemgebieten den Produzenten und Verbrauchern künftig Empfehlungen für Anbau und Verzehr gegeben werden sollen.
Um den besorgniserregenden Zuständen zu begegnen, kündigte Pfeifer die geplante Übernahme der Lebensmittelüberwachung auch auf die neuen Länder an. Das Bundesgesundheitsamt sei beauftragt worden, die „toxische Gesamtsituation“ der Lebensmittel zu bewerten. Die Bevölkerung solle detailliert informiert werden. Darin eingeschlossen sei ein als „Bio-Monitoring des Menschen" bezeichnetes Projekt, bei dem die Schadstoffe im Körper durch Analyse von Haar- und Gewerbeproben ermittelt werden.
Als besonders dringlich bezeichnete Pfeifer das Sofortprogramm für Trinkwasser. Auch das wichtigste Lebensmittel sei in vielen Teilen der ehemaligen DDR stark belastet. Eine Kommission soll alle 6.000 Wasserversorger überprüfen.
Daß die hohen Giftbelastungen die Erzeugnisse der DDR-Landwirtschaft nahezu unverkäuflich machen, wollte Pfeifer gestern nicht beschönigen. Er halte es aber für „fatal“, wenn die in der Vergangenheit übliche Politik des Verschweigens jetzt mit Rücksicht auf die Landwirtschaft fortgesetzt werde. Die Bevölkerung habe Anspruch auf Informationen über die „tatsächliche Situation“. In diesem Zusammenhang verwies Pfeifer auf die gute Qualität von Säuglings- und Kindernahrung sowie von Obst- und Gemüsekonserven.
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