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Lebendig tot

■ Junge Hunde auf Kampnagel: „The Two Blindmen“ aus Belgien und Hamburg

Der Untertitel zu Manu Bruynseraedes Fünf-Akter „The Two Blindmen“ lautet: „Ohne Konsequenzen“. Die Richtigkeit dieser Direktive hängt von der Perspektive des Betrachters ab.

Da waren zwei Männer. „The Actor With The Red Tie“ (Ivanka Rados) ist eine abgeklärte menschliche Hyäne, die – eine Form der Weisheit suggerierend – um keinen Nihilismus verlegen ist. Sein Leben ist beinahe aller Leidenschaften beraubt, er hat sozusagen das Fühlen verlernt. So sagt er schließlich: „Mein ganzes Leben lang habe ich Theater gehabt, ich frage mich nur, warum ich immer so einen beschissenen Part spiele.“ Er aber, das ist wichtig, kann sehen.

„The Actor With The Green Tie“ (Michael Gerlinger) hingegen ist blind. Seine Unfähigkeit zu sehen beschränkt sich nicht auf den Bereich der Augen. Auch sonst unterscheidet er sich eklatant von seinem Nebenmann. An langen Tagen redet er offenbar viel, möchte er doch dem Gegenspieler versichern, sich in der Zeit „vor dem Kriege“ als Kriegsphotograph betätigt zu haben. Er gibt sogar vor, daß er, von seiner damaligen Muse geküßt, die Liebesdichtkunst praktiziert habe. Allerdings in einer Art, die eher Debilität als Liebe bekunden könnte. Kurz: er ist ein einfältiger, wenn nicht dümmlicher Charakter. Die weise Distanz zum Leben, wie im Falle des Trägers der roten Krawatte, liegt ihm fern. Rot und Grün, das sind Steuerbord und Backbord, Plus- und Minuspole, Naivität und Erfahrung.

„The Two Blindmen“ treibt seinen durch Polarität entstehenden Konflikt bis in die extremste Laufbahn: Was ist Realität? Was ist Fiktion? Ist „Theater“ nur ein Begriff, um das Leben zu umschreiben? Oder ist „Leben“ doch nur Theater, eine Fiktion?

Um das Bewußtsein des Lebens wieder zu erwecken, indem er das scheinbare Gegenteil – den Tod – herausfordert, zieht der Mann in roter Krawatte in den Krieg. Aus diesem namenlosen Krieg kehrt er nicht wieder zurück: Der Tod ist das einzige, für das noch Neugier übrigbleibt.

Bruynseraede verwirrt den Zuschauer mit scheinbaren Unterbrechungen der fiktiven Sequenzen, um schließlich auch das Fiktive an seinem Theater in Frage zu stellen. Er konzentriert sein minimal inszeniertes, stellenweise etwas hölzern dargebrachtes Stück auf das Fragen. Sind der Tod und die Liebe die einzigen Gemeinsamkeiten, die das Theater und das „wahre Leben“ haben können?

Die Antwort verschweigt der junge belgische Autor jedoch – falls er sie überhaupt kennt. Innerhalb des Stückes mag man der „Konsequenzlosigkeit“ vielleicht noch zustimmen. Am Ende jedoch wird man gewahr: Die Folgen trägt allein der Zuschauer.

Jan-Christoph Wolter

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