: Leben und Sterben im Leipziger Blätterwald
Zeitungsstände sind bunt wie überall/ Förderverein „Medienstadt Leipzig“ sieht Chance für Metropole der Informationsgesellschaft ■ Von Ulla Schäfer
Leipzig. Noch rauscht es heftig in den Blättern der Stadt, die traditionell zu den zeitungsreichsten in deutschen Landen zählt. Gerade wurden zwei sehr unterschiedliche Kinder geboren: Das 'Leipziger Amtsblatt‘ und das Kulturmagazin 'Kreuzer‘ kommen im Juni neu heraus. Das amtliche Blatt, mit Informationen des Rates der Stadt für die Bürger, erscheint in einer Auflage von 200.000 Stück und wird mit Hilfe des Vertriebssystems von 'Wir in Leipzig‘ — dem einzig noch erhaltenen Pressekind der Wende — kostenlos an die Haushalte verteilt.
Das Monatsheft 'Kreuzer‘ (Start mit 20.000) versteht sich in seiner Berichterstattung — vorwiegend über Kunstereignisse — als Brücke zwischen etablierter und Basiskultur, findet sich wieder zwischen intellektuell und banal.
'Kreuzer‘ ist, personell und inhaltlich, in gewisser Weise Erbe der DAZ ('Die Andere Zeitung‘, gegründet im Januar 1990), die nach einem letzten Aufbäumen in Gestalt einer großangelegten Werbekampagne „DAZ hat's“ im Mai aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben mußte. Verschwunden sind im April 'Express‘ (konzentriert jetzt auf Halle) und am letzten Maiwochenende sang- und klanglos der 'Leipziger Sonntags-Kurier‘, der schon zu seinen Lebzeiten ein stilles Dasein fristete. Grund auch bei ihm: Konkursanmeldung.
Daß die Mitarbeiter am Tag danach vor versiegelten Räumen standen — der westdeutsche Teilhaber des Postillon-Verlages hatte die Büroausstattung schnellstens abtransportieren lassen —, ist wohl nur eines von vielen Beispielen für Defizite im Umgang miteinander, gerade in schwierigen Situationen.
Unverdrossen erscheint seit über einem Jahr jeden Monat 'Leo‘ als Leipziger Special, wie 'Kreuzer‘ mit einer umfänglichen Sammlung von Kulturdaten. Überhaupt scheint die Fülle gedruckter Kulturkalender den vielfältigen Sorgen, die Alarmmeldungen über Etatkürzungen in diesem Bereich erzeugen, entgegenzustehen — gleichsam ein „Trotz alledem!“.
Auch in Leipzig gibt es eine 'Rundschau‘ und einen 'Stadt-Anzeiger‘ — alle mit dominierenden Inseratenteilen, die ja unter den sich neu ordnenden Verhältnissen eine wichtige kommunikative und kommerzielle Funktion haben. Reine Anzeigenblätter sind 'Der Heiße Draht‘ oder 'Sperrmüll‘.
Prägend für die Leipziger Presselandschaft sind nach wie vor Tageszeitungen. Die 'Union‘ hat ihren Stammsitz in Halle und eine Leipzig- Redaktion. Das 'Leipziger Tageblatt‘ (früher 'Sächsisches Tageblatt‘, Auflage I.Quartal 1991 etwa 33.000) und die 'Leipziger Volkszeitung‘ (Auflage I.Quartal 1991 etwa 370.000) sind die alteingesessenen Zeitungen, die allerdings auch schon Lesereinbußen hinnehmen mußten. Doch in Leipzig ist vor allem eingetreten, womit nach Aussage von Otto Gellert, Vizechef des Treuhand- Verwaltungsrates, kaum zu rechnen war, daß nämlich einem westdeutschen Zeitungsverlag jeweils mehr als nur ein Objekt in einer Region übertragen wurde. Mitte April fiel die Entscheidung — die 'Leipziger Volkszeitung‘ ging in das Eigentum der Madsack Co. Verlagsgesellschaft Hannover und des Axel Springer Verlags über.
Das 'Tageblatt‘ gehört dem Springer Verlag, Madsack gehört zu einem Teil Springer, und einschließlich 'Bild Leipzig‘ gehören nun 75 Prozent des Leipziger Tageszeitungsmarktes dem Hamburger Haus. Nicht schlecht.
Die 'Leipziger Volkszeitung‘ hat nach der Entscheidung mit spürbarer Erleichterung unter dem Titel „Was wir wollen“ (zum dritten Mal seit der Gründung 1894) am 17. April ihre Ziele abgesteckt: Sie will Medium der (weit verstandenen) Region und ihrer Bürger sein, gesellschaftliche Integration fördern, dafür sorgen, daß sich in der Zeitung unterschiedliche, auch gegensätzliche Interessen artikulieren können. Und: „Die 'Leipziger Volkszeitung‘ wird immer demokratisch zustande gekommene Mehrheitsentscheidungen respektieren.“
Ist nun Ruhe eingekehrt? Einen Monat nach der treuhänderischen Verteilung wurde bereits wieder gemunkelt, daß am Zeitungsmarkt der ehemaligen DDR so manches Engagement brüchig sei; ein neues Faktum sind die Erstattungsansprüche der SPD aus der Zeit vor 1933, die auch die Mehringsche 'LVZ‘ betreffen könnten...
Leipzigs Zeitungsstände sind so bunt wie überall, und die Überregionalen sind ebenfalls auf dem Markt — seriöse und Boulevardblätter. Der Aufbau einer Dreiländeranstalt „Mitteldeutscher Rundfunk“ mit Sitz in der Messestadt ist beschlossene Sache, und der Förderverein „Medienstadt Leipzig“ sieht die reale Chance, der altehrwürdigen Messestadt das „Gesicht des 21.Jahrhunderts“ zu geben — das einer Metropole der Informationsgesellschaft. adn
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