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Archiv-Artikel

„Leben schenken ist nicht planbar!“

Mit 40 zum ersten Mal Windeln wechseln? Immer mehr Frauen entscheiden sich spät für ein Kind. In Berlin jede Fünfte. Welche Risiken, welche Chancen sind damit verbunden? Und wie wirkt sich das Alter auf die Erziehung aus?

Eine 50-Jährigeerzieht die Kleinengenauso gut wie eine20-Jährige

„Ich bin jung als Mutter und alt an Jahren und Erfahrung“, bringt Dorothea von Stumpfeldt ihr Leben auf den Punkt. Die 53-jährige Ärztin lacht. Nein, Langeweile käme mit den drei Söhnen nun wirklich nicht auf. Beim Toben mit den Jungs fühlt sie sich noch mal wie 25. Sie spielt Verstecken, Memory oder Topfklopfen. Die selbstbewusste Berlinerin wurde mit 39, 43 und 46 Jahren schwanger. „Erstaunlich“ fanden das nur ihre Kollegen. Für sie war es „gut und richtig“. Warum es so spät passierte? „Vorher stand ich einer Schwangerschaft ambivalent gegenüber“, erklärt sie. Auch Ines Wegner entschied sich erst mit 36 Jahren für ein Kind. Ganz bewusst. „Nach dem Studium wollte ich mir meine Träume erfüllen, im Ausland arbeiten und reisen“, erinnert sich die Vertriebsreferentin. „Aber mit 50 allein am Frühstückstisch zu sitzen, das konnte ich mir nicht vorstellen.“

Erst die Karriere, dann das Kind – diesen Lebensentwurf wählen jährlich immer mehr, insbesondere hoch qualifizierte Frauen. Waren es in Berlin 1995 noch 3.135 Kinder, die von älteren Müttern – jenen über 35 Jahre – geboren wurden, so hat sich ihre Zahl 2005 mit 6.360 Kindern mehr als verdoppelt. Ihr Anteil liegt in Berlin wie in vielen Großstädten bei 22 Prozent und damit weit über dem Bundesdurchschnitt von zwölf Prozent. Doch wie lässt sich das Phänomen erklären? Soziologin Dorothea Krüger begründet das späte Mutterglück hauptsächlich mit den langen Ausbildungszeiten. Aber auch Wünsche nach individueller und materieller Unabhängigkeit, die Partnersuche oder Fruchtbarkeitsstörungen spielen eine Rolle. Der Trend, die Schwangerschaft ganz bewusst spät zu planen, macht Oberärztin Gabriele Gossing von der Charité Berlin nachdenklich. „Viele Frauen um die 40 landen dann bei mir in der Kinderwunsch-Sprechstunde, weil sich keine Schwangerschaft einstellen will“, erzählt sie. Die Reproduktionsmedizin schürt natürlich Hoffnung, auch mit 45 noch mal Mutter zu werden. „Der langwierige, medizinische Prozess hat für beide Partner aber oft ein psychologisches Trauma zur Folge“, betont sie.

Dem kann Psychologin Simone Kirchner vom Familienplanungszentrum Balance zustimmen. Sie kritisiert die heutige Einstellung der Gesellschaft zur Geburt. „Leben schenken wird als planbar angesehen“, sagt sie. Spätgebärende, die sich sehr lange ein „Wunschkind“ herbeigesehnt haben, erleben viel öfter Krisen. Die Frauen meinen, in dem Kind nun endlich den Sinn für ihr Dasein zu finden. Das Baby wird vor der Geburt zum „Glücksbringer“ erkoren, aber nach der Geburt plötzlich als chaosstiftend und nicht kontrollierbar empfunden. Bei den Frauen mag sich keine Freude einstellen. Im Gegenteil – Probleme und Sorgen etwa in der Beziehung sind immer noch da. Enttäuschungen und Depressionen folgen nun, welche Kirchner dann in vielen Gesprächen aufzuarbeiten versucht.

Kinder verändern das Leben der Frauen stärker als sie denken. Sie fordern ihnen viel Geduld ab. Hier haben späte Mütter im Vergleich zu jungen sicher einen Vorteil. „Sie sind erfahrener und gelassener“, weiß die Psychologin. Dorothea von Stumpfeldt bestätigt dies: „Ich hätte meine Kinder früher mehr gegängelt, sie mehr erzogen.“ Hebamme Marion Kublick vom Geburtshaus Hohenschönhausen lobt zudem: „Ältere Mütter ernähren sich und ihre Kinder bewusster und nehmen Untersuchungen penibler wahr.“

Faktoren wie eine stabile Partnerschaft, gute Ausbildung und ökonomische Sicherheit wirken sich günstig auf den Nachwuchs aus. Wider Erwarten beeinflussen Altersunterschiede die Mutter-Kind-Beziehung jedoch nicht. Laut Kirchner „erzieht eine 50-Jährige die Kleinen genauso gut oder schlecht wie eine 20-Jährige“. Allein die Liebesfähigkeit und die Persönlichkeit der Frau seien dafür entscheidend. Wer also schon immer ängstlich war, wird seine Kinder überbehüten. Wer schon immer leistungsbezogen war, wird seine Schützlinge ständig vergleichen. Letzteres beobachtet Hebamme Bärbel Galeitzke vom Geburtshaus Kreuzberg dennoch vermehrt bei Spätmamas: „Sie jubeln ihre Kinder gern mal hoch.“ Sie rät den nach Perfektion strebenden Müttern „intuitiver zu handeln und nicht so viele Ratgeber zu lesen“.

Hat die späte Mutterschaft also doch Nachteile? Mama Ines Wegener fallen keine ein. Dorothea von Stumpfeldt schon. Sie meint: „Ich bin überall die Älteste. Das fällt auf. Und so wird man im Kindergarten auch mal mit der Oma verwechselt.“ Entmutigend sei das aber nicht. „Wenn man sich jung fühlt, kann einem das nichts anhaben“, ist ihre Erfahrung. JANET WEISHART