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■ Kommentare Journalisten werden vor nationalen Karren gespanntLautsprecherfunktion

Auf europäischer Ebene haben Journalisten und Parlamentarier eines gemeinsam: Sie werden als Lautsprecher benutzt, gewissermaßen instrumentalisiert. Der Grund ist einfach: Bei der Vielfalt der Themen, die tagtäglich auf der europäischen Bühne zur Sprache kommen, haben nur solche Aussicht, über den Tag hinaus Bestand zu haben, die in der Presse und/oder im Europaparlament aufgegriffen werden. Parlamentarier und Journalisten werden gleichermaßen von Institutionen und Lobbyisten bekniet und bearbeitet. Man kann das vornehm „Überzeugungsarbeit“ nennen. Salopper formuliert ist es Einflußnahme, und nicht immer geht es dabei mit rechten Dingen zu.

Brüssel ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Die Akteure werden daran gemessen, wieviel von ihrer Botschaft rüberkommt, das heißt einen Niederschlag in der Presse findet oder im Europäischen Parlament aufgegriffen wird. Da gibt es die permanente Rivalität der Institutionen im Wettstreit um Aufmerksamkeit. Und daneben gibt es noch die Lobbyisten, die ständig versuchen, ihr Anliegen als das wichtigste überhaupt in den Mittelpunkt zu rücken, und dabei bestehende Rivalitäten geschickt ausnutzen.

Diejenigen, die sich am lautesten gebärden, sind nicht unbedingt diejenigen, die am längeren Hebel sitzen. Auffällig etwa der Informations-Aktivismus der EU-Kommission, verglichen mit der Verschwiegenheit des Ministerrates, der zurückgezogen in seiner Festung lebt, aber in Wirklichkeit die Fäden zieht. Aus diesem hermetisch abgeriegelten und abgehobenen Machtzentrum dringt gewöhnlich nur etwas nach außen, wenn die nationalen Vertreter ein Interesse haben, aus der Schule zu plaudern.

Diese Rückkopplung der Informationsbeschaffung an nationale Betrachtungsweisen erklärt im wesentlichen, warum die Berichterstattung aus Brüssel doch überwiegend durch die nationale Brille stattfindet. Es gibt keinen europäischen Journalismus, weil es keine europäische Öffentlichkeit gibt und der vielbeschworene europäische Bürger vorerst eine bloße Wunschvorstellung ist.

Kann man der Presse zum Vorwurf machen, daß sie sich in der Regel vor den Karren ihrer jeweiligen Regierung spannen läßt? Ich glaube nicht. Dieser Zustand spiegelt die Befindlichkeit der europäischen Debatte in den Mitgliedstaaten wider. Die Presse mag diesen Zustand bekräftigen, sie kann aber wohl kaum dafür haftbar gemacht werden. Und was ist die Alternative zum nationalen Prisma? Euro-Speak? Gerade weil es darum geht, Europa den Bürgern näherzubringen, kommt es darauf an, die Auswirkungen der Integration auf das Alltagsleben deutlich zu machen. Vielleicht werden Journalisten bis auf weiteres nur verstanden, wenn sie durch die nationale Brille schauen lassen. Charles Goerens

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