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■ Laute(r) MedienMultikulti

Wenn es so weitergeht, könnte man Berlin nach einer Totalzerstörung locker rekonstruieren: Kaum eine Ecke, die noch nicht in einem Film vorkommt, kein Tag, an dem man nicht einen Bogen um ein Produktionsteam machen muß. Vor Berlin liegen, gemessen an den Investitionen in Filmproduktionen, nur noch drei Regionen: München, Hamburg und Nordrhein-Westfalen.

Überhaupt dreht sich medienmäßig viel in Berlin. Insgesamt haben etwa 8.000 Firmen der Medienbranche hier ihren Sitz. Knapp 100.000 Beschäftigte sorgen für einen Umsatz von 20 Milliarden Mark pro Jahr.

Zwar jammern die diversen Medienzirkel über zu wenig Zuschüsse. Aber geht es nach Eberhard Diepgen, ist Berlin bald Mediapolis.

Schon jetzt gibt es knapp 230 Buchverlage in Berlin. Vor Ort sind die jüngst eingeweihten Hauptstadtstudios und Medienzentren von ARD und ZDF. MTV betreut die Jugend am Breitscheidplatz, Sat.1 und Pro 7 hecken in Mitte neue Formate aus. Noch im Aufbaustadium befinden sich der berlinnahe Filmstandort Babelsberg und das Medien- und Technologiezentrum Adlershof. Und Sony, die Entertainmentmacht, residiert mitten in der Stadt.

Es gibt mehr Tageszeitungen als Wochentage, mehr Magazine und Programmhefte als Zeit zum Reingucken. Und seit dem 30. August ist das Ewigmonopol des Lokalsenders B 1 vielleicht in ernster Gefahr. Das Motto der Fernsehoffensive von TV Berlin: „Keine Macht den Drögen!“

Ein interessanter Schauplatz ist der Radiomarkt, den man auch Haifischbecken nennt. Der Konkurrenzkampf ist so hart, dass sich einige Sender in ihren Programmen mit Jingles und unentwegter Nennung ihres Namens mehr selbst bewerben als den Hörer unterhalten.

Zwar blieb Albert Einsteins Hoffnung unerfüllt, der vor 76 Jahren in Berlin geborene Rundfunk könne „wahre Demokratie“ ins Land bringen. Aber die Vielseitigkeit der über dreißig Stationen macht Berlin zum Radiomekka. Für jeden Geschmack gibt Wellen. Wer nur Hits aus den letzten dreißig Jahren haben will, hört RTL auf Frequenz 104,6 oder Energy (103,4). Wer jung ist, tanzt auf Kiss FM (98,8) oder singt mit bei Fritz (102,6).

Für Liebhaber gibt es Klassik (101,3) oder Rock auf Star FM (87,9). Wer für den Schlager ist, schaltet Spreeradio (105,5) ein, Jazzer treffen sich auf der Frequenz 101,9, und Metropol FM (94,8) bringt alles auf Türkisch. Songs mit „Seele“ hört man auf dem christlich angehauchten Radio Paradiso (98,2), News bis zum Abwinken gibt es bei InfoRadio (93,1) und Radio Kultur (92,4). Das Hochschulneueste sendet das Uni-Radio (Mo.-Fr., 17 bis 18 Uhr, 87,9).

Qualitätsspitzenreiter sind freilich andere, Radio Eins (95,8) beispielsweise, das gewissenhafte Deutschlandradio (89,6) und vor allem der 18-sprachige Sender MultiKulti (106,8), der sich nicht nur bei den etwa 440.000 Migranten in Berlin wegen seiner Weltmusik entschiedener Beliebtheit erfreut: im Grunde die einzige Alternative zum Mainstream.

Enno Bolten

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