piwik no script img

Laut rieselt der Staub

■ Michael Braun inszeniert David Bogosians Radio-Satire 'Talk Radio– in deutscher Erstaufführung im Schauspielhaus

in deutscher Erstaufführung im Schauspielhaus

Hektisches Geraschel. Linda versorgt im Studio den Star des Senders „Welle 2000“, Barry Champlain, mit letzten Fetzen aus der Wirklichkeit. Ein Fressen für Barry, das er frisch und live für sein Publikum draußen im Land zerreißt: Ehrenwerte Herren gründen einen lokalen Päderastenverein oder: der neueste Hooligan-Terror. „Dieses Land hat Probleme“, - damit ist Barry, Windmühlenkämpfer für die Wahrheit im Medienzeitalter, schon bei seiner Mission angelangt.

Mit der Erfahrung einer TV-Kanaille verwandelt sich Ingolf Lück in Michael Brauns Inszenierung von Talk Radio in diesen moralischen Zyniker hinterm Mikro. Hinter ihm schwebt übergroß Michelangelos Hand des Adams, die auf einen schmalen Himmelsstreifen weist - das muß der Fingerzeig in den Äther sein. Vor einer Lautsprechermembran von etwa drei Meter Durchmesser hält „Barry“ Ingolf Lück sich spreizend und räkelnd Telefon-Audienz für sein unsichtbares Publikum, das ihm betroffen aus den Tiefen allgemeiner und individueller Verwirrung Bericht erstattet.

Beschimpfungen, Warnungen, Drohungen mit dem Prickeln echter Bedrohung garantieren die Kurzweil der Sendung, die kurz vor ihrem landesweiten Erfolg steht - wenn sie den Sponsoren an diesem Abend „zahm“ genug ist. Aber Barry richtet, provoziert und amüsiert sich hämisch über Rollstuhlfahrer. Erst ein Antisemit verschlägt ihm fast die Sprache. Eine Satire auf Quotengeilheit in einer Mediengesellschaft, in der „Sender“ und „Empfänger“ immer wenig voneinander wissen?

Die Studio-Crew, Beata Lehmann als Linda und Hans-Jörg Frey als Tim, wirkte nachts um elf im Schauspielhaus verschlafen wie das Publikum im Parkett. Ingolf Lück hob sich dagegen als hyperaktiver Radio-Maniac ab. Doch Talk Radio, 1988 von Oliver Stone verfilmt, eignet sich vielleicht heute noch als medienpädagogisches Lehrstück, dazu gehört die Inszenierung aber nicht nur von überdimensionalen Symbolismen entstaubt. jk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen