Laufend weich gekocht

Wie der Fußballer Ingo Menzel bei Alemannia Aachen abserviert und rausgeekelt wurde.Ein Sittenbild, gezeichnet am Rande des Pokalspiels gegen Leverkusen, das der Zweitligist 1:2 verlor

aus Aachen BERND MÜLLENDER

Am Dienstagmorgen dreht Alemannia-Profi Ingo Menzel (29) im Aachener Vorort Richterich die übliche Runde mit seinen beiden Hunden. Dann legt er sich grippig wieder ins Bett; eigentlich hatte er als Zuschauer zum Pokalmatch gegen Bayer Leverkusen gewollt. „Geht nicht. Zu wenig Mannschaftstraining“, sagt er hustend und grinst, „ich bin wohl enthärtet.“

Der gebürtige Bochumer, Kfz-Techniker, ist ein typischer Junge des Ruhrgebiets: immer gerade heraus. Das Herz auf der Zunge. Und dem Scherz nie abgeneigt, auch dem auf eigene Kosten nicht. Doch seit Juli, „als das Mobbing anfing“, ist ihm das Lachen vergangen: „Diese Lügen, der Versuch, mich rauszuekeln und mental fertigzumachen.“

Aus Wuppertal war er gekommen, im Sommer 1999. Der erste Profivertrag. Die damalige Clubführung war mit einem Dreijahresvertrag einverstanden, damit Menzels Kinder nicht ständig die Schule wechseln müssen. Die Saison 99/00 lief auch passabel. Manndecker Menzel spielte 17 Partien. Trainer Eugen Hach lobte ihn: Ingo, einer der sich immer voll reinhängt.

Menzel war beim 2:1-Sieg in Gladbach dabei („einmal auf dem Bökelberg spielen, ein Kindertraum. Nur dafür hat sich mein Profidasein schon gelohnt“) und erlebte die unfreiwillig nachhaltigste Szene seiner Karriere, als er gegen Hannover per krachendem Schuss „das Eigentor des Jahres“ (DSF) erzielte. Trainer und Mitspieler trösteten. Keine Vorwürfe. Menzels Sohn Tim wies damals clever auf die Bild-Schlagzeile hin, die am heimischen Kühlschrank hing: „Aachen: Mit Menzel gegen Nürnberg.“ Jetzt, so Tim, müsse da stehen: „Hannover: Mit Menzel gegen Aachen“. Ingo lachte.

Club kauft neue Menzels

Im April las Ingo Menzel wieder Zeitung: Wer am nächsten Wochenende nicht zum Kader gehöre, hatte der Trainer verkündet, könne sich einen neuen Verein suchen. Menzel gehörte nicht. Aussortiert. Ingo Spreu. Sportlich war das nicht zwingend, aber nachvollziehbar, und menschlich wenig sensibel („Keiner im Club hat mit mir darüber gesprochen“), aber so ist das Geschäft: Der Club kauft junge, neue, billige Menzels. Vielleicht setzt sich einer durch.

Offiziell, sagt Menzel, habe ihm der Club erst Anfang Juli per Brief mitgeteilt, er solle sich „einen neuen Club suchen“. Menzel erklärt den Alemannia-Präsidialen: „Fußball ist kein Wunschkonzert“ – im Juli suche niemand neue Spieler. Zudem verweist er auf seinen gültigen Arbeitsvertrag bis Juni 2002 und geht tags drauf zum ersten Training der neuen Saison. „Ich musste ja meine Arbeitskraft zur Verfügung stellen.“

Umgehend beginnt die harte Methode „Weichkochen“. Trainer Eugen Hach, zuletzt bundesweit bekannt geworden durch seine Attacke gegen den Cottbusser Spieler Franklin und die Rekordsperre von drei Monaten („Der Würger vom Tivoli“, taz 8. 5. 00), weist Menzel an, um den Sportplatz Runden zu drehen. Zwangsjogging statt Mannschaftstraining. Demütigend, wie Menzel findet.

Aber er läuft. Hach habe ihn noch angeblafft: „Wie doof bist du denn, stand doch in der Zeitung.“ Menzel sagt ihm: „Trainer, über Doofheit möchte ich mich nicht unterhalten.“ Der Aussortierte will die Rolle als Leibeigener nicht akzeptieren. Nicht leicht für den Club. Und die Reaktionen folgen: Da Menzel nicht mehr zur Mannschaft gehöre, gehöre er auch nicht mehr in die Mannschaftskabine. Fußballers Separation: Ab ins Schiedsrichterkabuff, sagt der Trainer. Von Mannschaftssitzungen wird er später verbannt, weil er angeblich störe. Dann gab es „diese Extraaufgaben“: Menzel muss auf andere Plätze als die Mannschaft, um zu joggen, auch auf Asche. „Und extra andersfarbige Trainingsklamotten anziehen.“

Wochenlang geht das so. Menzel ist wegen einer Bronchitis ein paar Tage krank geschrieben. Als er sich zum Training zurückmeldet, habe Hach „ein Gesundheitszeugnis“ verlangt. „Bitte?“, hat Menzel gefragt, „ich bin fit und wieder gesund.“ Hach habe auf einem Gesundheitszeugnis bestanden: „Wer weiß, wen du mir sonst ansteckst.“ Seitdem verweigere der Trainer auch den Handschlag.

Die Interessenlage ist vielschichtig. Der Club drängt auf Probetrainings anderswo; man wäre den Kostenträger Menzel gern los (geschätztes Monatssalär 8.000 Mark) und bekäme vielleicht noch ein paar zehntausend Mark Ablöse. Menzel könnte die Zeit bei Alemannia abreißen, was der Club ihm auch unterstellt. Das hieße zwei Jahre gesichertes Einkommen. Aber danach wäre er 31 und die Karriere wohl beendet. Er macht diverse Probetrainings, zum Vertrag kommt es nicht. Auch, sagt er, weil er seit April nicht mehr auf die Bühne durfte. Und ohne Balltraining wird keiner besser. Mit Hach gibt es hitzige Wortgefechte. Man schimpft sich Lügner und Störenfried, Querulant. Menzel, Mitglied in der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV, siehe Kasten), nimmt sich einen Anwalt. Die Mannschaft feiert Menzel lautstark, wenn er auftaucht: „Da ist ja unser Super-Ingo.“ Die Kollegen, berichtet Menzel, hätten „ihren Spaß gehabt, das konnte der Trainer nicht haben“. Aber Menzel sagt auch: „Vom Mannschaftsrat kamen nur aufmunternde Worte. Keine Rückendeckung gegenüber Trainer und Verein.“ Und kein Vermittlungsversuch: Das habe „schon sehr weh getan“. Solidarität ist unter Fußballprofis ein Fremdwort.

Neuer Verein oder Sofa

Mitte Oktober wird der Streit zu Teilen öffentlich. Der Club erklärt die eigenen Vertragsverpflichtungen zur großen Geste: „Wir haben Menzel immer pünktlich das Gehalt überwiesen.“ Und mit mäßig logischem Spott: „Ingo Menzel soll sich einen neuen Verein suchen oder auf dem Sofa sitzen bleiben.“

Dabei will er genau das nicht. Der Präsident des benachbarten FSV Setterich schreibt Menzel („Für Ihre profihafte Einstellung haben Sie solch eine Behandlung nicht verdient“) und bietet fußballerisches Asyl zum Training mit der Landesligaelf. Spott! Aus der eigenen Fußballwelt! Und die Presse schreibt es auch noch! Trainer Hach reagiert mit viertägigem Schweigeboykott. Als die Mannschaft sonntags gewinnt, versucht sich Hach in der Pressekonferenz mit Ironie: „Menzel hat noch konditionellen Rückstand. Das scheint ja von besonderem Interesse zu sein.“

Die Vereinsführung erklärt: „Wir haben Menzel angeboten, mit der 2. Mannschaft (5. Liga; d. Red.) zu trainieren“, auch wenn er meine, das sei „unter seinem Niveau“. Nun ist das keine Einschätzungs-, sondern eine Vertragsfrage. Menzels Vertrag gilt für Liga zwei und drei. Dennoch will er vor einer gerichtlichen Klärung eine Abmahnung verhindern und trollt sich. Da teilt ihm der Amateurtrainer mit: Cheftrainer Hach habe eben angerufen, Menzel solle Runden drehen. „Wir waren uns über eine Vertragsauflösung schon so gut wie einig. Aber da hat’s gereicht“, sagt Menzel. Er drängt auf gerichtliche Klärung. Vergangenen Donnerstag, kurz vor dem Gerichtstermin, einigt man sich schließlich. Mit dem Abend des Pokalspiels gegen Leverkusen am Dienstag ist der Vertrag aufgelöst. „Der Club musste noch einiges an Abfindung drauflegen“, sagt Ingo Menzel.

Trainer Hach erklärte sich nach der 1:2-Niederlage gegen Bayer „froh, stolz und glücklich“, dass man „dem Rudi“ und seiner Elf so viel entgegensetzen konnte. Immerhin hatte Alemannia dem Vereinstrainer Völler das erste Gegentor der Karriere beigebracht (Völler zur taz: „Hmmm. Stimmt. Ist aber nicht schlimm. Es wird auch die erste Niederlage kommen“). Im Vorbericht der Aachener Zeitung stand noch so nett: „Die rechtliche Situation ist vollkommen ungeklärt. Darf man Rudi Völler, den neuen Messias des deutschen Fußballs, besiegen?“ Noch nicht. Auch wenn er mit einem halben Reserveteam aufläuft.

Ingo Menzel hat das aufregende Match im Fernsehen gesehen. „Als der Xie das 1:1 geköpft hat, haben wir hier auf der Couch echt gejubelt. Und ich hätte mich wahnsinnig für die Jungs gefreut, wenn es gereicht hätte.“ Nur sei da die Sache „mit den zwei Herzen in meiner Brust“: „Dem Hach kann ich überhaupt nichts mehr gönnen. Wenn der nach all den Attacken sagt, er habe ja nichts gegen mich persönlich, dann möchte ich nicht wissen, was er mit jemandem macht, gegen den er persönlich was hat.“

VDV-Präsident Florian Gothe hat Ingo Menzel wissen lassen: „Respekt, wie du das durchgezogen hast, ohne klein beizugeben.“ Menzel sagt: „Jetzt bin ich erst mal Hausmann. Da strahlt meine Gaby.“ Genug Kondition hat er ja.