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Las-Vegas-Lull zu tiefem Brummen

■ Freitag war Barry White da

Barry White ist ein Mann, der die Faulheit – oder sagen wir höflicher das Phlegma – zur Kunstform erhoben hat. Man kann die Konsequenz nur bewundern, mit der er nur das Allernötigste macht: Auf der Bühne wandelt er ganz langsam von einer Seite zur anderen, ins Mikrophon haucht er seine Textzeilen so schläfrig, als würde er ständig gerade aus dem Tiefschlaf erwachen, und seine Ansagen nuschelt er so träge, daß man kaum etwas versteht – stattdessen wird man von seinem Brummen gestreichelt. Denn dieser samtene Baß ist wohl die erotischste männliche Stimme der zeitgenössischen Popmusik, und Barry Whites sinnliche Trägheit verstärkt diesen Reiz nur noch.

Daß White ein begnadeter Faulpelz ist, zeigt sich auch, wenn man wie in diesem Konzert seine Songs, die über 20 Jahre lang regelmäßig zu Hits wurden, in einem Set präsentiert bekommt: Letztlich klingt da einer wie der andere. White hatte in den Siebziger Jahren eine geniale Idee: Er kontrastierte seinen erdigen Baß mit himmlisch schmalzigen Streichersätzen und setzte funkige Discorhythmen darunter. Ganz einfach, aber enorm effektiv, und weil das Rezept so erfolgreich war, blieb White dabei. Wenn man diese Klone nun so nacheinander weghört, wird das mit der Zeit schon ein wenig langweilig, aber alle Jahre wieder eine weitere Variation des Barry White Sounds im Radio – das hört man gerne, und deshalb wird er noch viele Jahre so weitermachen können.

Whites Songs spinnen sich wie Kokons um die Sinne – das Publikum in der fast ausverkauften Stadthalle wurde professionell eingelullt. Im 30-köpfigen Orchester saßen alleine 14 Streicher, die allerdings so maschinell spielten, daß ein Synthesizer es auch getan hätte – aber natürlich sahen die vielen fiedelnden Bögen im Hintergrund viel imposanter aus. Im besten Las-Vegas-Stil war das Show-Orchester optisch wesentlich beeindruckender als akustisch – es ging mehr um den Stil als um den Ton. Zehn Musiker hätten auch nicht viel anders geklungen. Im ganzen Konzert gab es nur ein Solo, und das auch nur, weil bei „Just the way you are“ jeder das Saxophon von der Originalaufnahme erwartete. Bei dem Instrumentalsong „Love Theme“ spielte White dann ganz ernsthaft den Dirigenten. Vorher hatte die Band die Arrangements zwar auch perfekt ohne seinen Taktstock gespielt, aber es hätte halt ziemlich dumm ausgesehen, wenn wenn er nur so auf der Bühne herumgestanden hätte.

So betulich sich Barry White auf der Bühne auch gab – letzlich legten er und sein Orchester ein beachtliches Tempo vor: Bei 16 Songs in knapp 80 Minuten kam er trotz der optimalen Rationalisierung seines Arbeitseinsatzes in den letzten Minuten sogar ein wenig ins Schwitzen. Aber dann wurde nach „You're the First, the Last“ ganz schnell die Deckenbeleuchtung eingeschaltet, und das Publikum rüde aus seiner schläfrigen Laune geweckt. Eine Zugabe wäre bei diesem musikalischen Lob der Faulheit auch ein übler Stilbruch gewesen. Wilfried Hippen

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