Laptops im Unterricht: Das surfende Klassenzimmer
Die Computer-Revolution im Schulraum startet im äußersten Westen der Republik. In der nordrhein-westfälischen Stadt Würselen erhalten alle Schüler einen Laptop.
BERLIN taz Notebooks in Universitätshörsälen sind längst nichts Ungewöhnliches mehr, im Klassenzimmer sind sie bislang tabu. In Würselen bei Aachen soll sich das jetzt ändern. An allen elf städtischen Schulen wird es nach den Sommerferien für alle Schülerinnen und Schüler Laptops und Funknetze geben. Auch Erstklässler sollen dann vor dem Bildschirm lernen - sowohl im Unterricht als auch bei den Hausaufgaben.
"Die Wirtschaft klagt immer, dass sie nur schlecht ausgebildete Schüler bekommt", sagt der städtische Leiter des 2,4 Millionen Euro teuren Projekts, Werner Birmanns. "Vielleicht können wir das ja ein bisschen ausbügeln. Wir hoffen jedenfalls, dass das Projekt den Lerneffekt und damit die Qualifizierung unserer Schüler steigert." Durch den täglichen Umgang mit dem Computer, so das Kalkül der Stadtverwaltung, werde die Medienkompetenz schon frühzeitig geschärft - später, bei der Jobsuche, kann das mitunter ein Vorteil gegenüber Mitbewerbern sein.
Würselen ist nach Unna und Gütersloh die dritte nordrhein-westfälische Stadt, die in ihren Schulen auf mobile Rechner setzt. Die Landesregierung hatte im Jahr 2000 eine Initiative gestartet, im Schulbetrieb systematisch neue Medien einzusetzen. Während in Unna und Gütersloh die Schulen jedoch wählen können, ob sie modern oder eher konventionell arbeiten wollen, sind Notebooks in Würselen obligatorisch.
Wählen können die Schulleitungen lediglich, ob so genannte Notebookklassen eingerichtet werden, in denen alle einen privaten Rechner erwerben, oder ob lediglich Notebooktische bereit gestellt werden. Auf jedem dieser Tische, die zu Stundenbeginn in den Klassenraum geschoben werden und anschließend wieder abgegeben werden müssen, befinden sich 18 Computer, Drucker und Videoprojektoren. Auf dieses Modell setzen die Hauptschule der Stadt sowie die Sonderschule und die sieben Grundschulen.
Notebookklassen wird es nur in sieben Eingangsklassen des einzigen Gymnasiums Würselens und der ortsansässigen Realschule geben. Deren Schüler können die Rechner dann sowohl im Unterricht als auch für private Zwecke verwenden. Um Missbrauch während des Deutsch- oder Matheunterrichts zu verhindern, ist der Internetzugang erheblich reglementiert. Nur für die jeweilige Fachrichtung relevante Webseiten sollen dann geöffnet werden können. "Was benutzt werden kann, bestimmen die Lehrer", sagt Birmanns. Für den Internetzugang werden in jeder Klasse sogenannte Accesspoints eingerichtet, über den alle Schüler über drahtlose WLAN-Verbindungen Online gehen können. Durch die Accesspoints besteht im gesamten Gebäude ein flächendeckendes Netz, so dass Schüler sich mit den Laptops überall bewegen können.
Langfristig sollen alle 3.700 Schüler und 220 Lehrer des Ortes mit tragbaren Computern ausgerüstet sein. "Auch in der Grundschule dürfte der Druck des Kollegiums und der Elternschaft groß werden", glaubt Birmanns. "Denn die Erfahrungen werden hier so ähnlich sein, wie zum Beispiel in Gütersloh: Dort waren nach solch einem Projekt notenmäßig alle ein Stück weit besser als vorher."
Ganz kostenlos ist der Technikspaß für die Eltern von Kindern aus Notebook-Klassen allerdings nicht. Sie müssen über einen Leasingvertrag mit dem Deutschen Sparkassenverbund monatlich 29,50 Euro für das Gerät abdrücken. "Von der Bank wird es aber keine großen Bonitätsprüfungen geben", versichert der Projektleiter. "Das Einzige, was dann zählt, ist, dass das Kind in einer unserer Schulen angemeldet ist." Bei bedürftigen Familien soll der Sozialfonds des Sparkassenverbands einspringen. Dann ist nur noch die Hälfte des Betrags fällig. Im Notfall dürfte der Verband auch die kompletten Beiträge übernehmen, die Verhandlungen darüber stehen kurz vor dem Abschluss. "Denn eins ist klar: Wir wollen in Würselen keine Zweiklassengesellschaft schaffen", sagt Birmanns. VEIT MEDICK
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