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Archiv-Artikel

„Langweile nicht!“

Aus Anlass seiner gerade erschienenen gesammelten Dramolette:ein Gespräch mit F. W. Bernstein rund um die Themen Lyrik und Komik

INTERVIEW PATRICK KOLLMER

taz: Herr Bernstein, in Ihren Gedichten geht es häufig drunter und drüber. Zitate, Motive, Metaphern und Tonfälle wirbeln durcheinander. Was fasziniert Sie an dem anarchischen Spiel mit Worten?

F. W. Bernstein: Das ist bei mir Bildungsgut oder Bildungsschrott, was einfach vorhanden ist und mit dem man spielen kann. Anarchisch wäre schon wieder so ein politisches Prinzip, keine Herrschaft anerkennen oder keine Regeln. Ich würde schon Regeln anerkennen, also ein bestimmtes Schema, auf das man sich eingelassen hat. Zum Beispiel ein bestimmtes Strophenschema, das sollte schon eingehalten werden.

Sind Ihre Gedichte als ein respektloses Spiel mit Bildungsgut zu verstehen?

Eher ein respektvolles. Wenn die romantischen Lyriker einen Klang gefunden haben, dann greife ich das auf. Mit dem frühen Rilke ist es am einfachsten, der hat das Ganze ja sehr gesüßt, und das kann man dann übernehmen, so wie Musiker schöne Harmonien zitieren. Respektlos? Es sind keine Huldigungen. Wenn ich was benutze, dann sollte das schon erkannt werden. Bei denen, die es nicht kennen, sollte schon klar werden, dass hier mit Edelsteinen aus anderen Schmuckstücken gespielt wird. Zudem ist es oft für den komischen Effekt ganz gut, wenn man billige Pointen benutzt und das Ganze kommt dann in einem hohen, schönen Ton daher.

Sie äußern in Ihren Gedichten Zweifel an sinnhaften Aussagen in Gedichten. Woher rührt Ihre Skepsis gegenüber Sinn und Logik?

Ach, das ist jetzt kein grundsätzliches Ding. Innerhalb der letzten Briefe und Texte von Robert [Gernhardt, d. Red.] diskutiert er das auch, mein Eintreten für den Nicht-Sinn, und stellt dann aber wieder fest, dass bei mir derartig viel Bildungsgut, also Sinngut drin ist, dass auch das Gegenteil davon wahr sein muss. Da kommt bei mir eher ein musikalisches Prinzip oder musikalischer Effekt ins Spiel, wo die Wörter oft wichtiger sind als der Sinn.

In Ihrem Gedicht „Sinn satt!“ schreiben Sie: „Sprache macht von selber Sinn,/ weil der Sinn steckt in ihr drin.“ Das hat schon etwas Heideggersches.

Jetzt kommen wir in die Sprachphilosophie. Also, Ausgangspunkt war eigentlich ein Goethe-Spruch, ein Diktum zur Lyrik: „Ein Gedicht muss im Großen und Ganzen durchaus vernünftig und im Einzelnen durchaus unvernünftig sein.“ Also „Grün ist des Lebens goldener Baum“. Wie nun, grün oder golden? Das sind diese Reize, die nicht weiter stören, wenn sie in einer musikalischen Form drin sind. Lyrische Formen sind ja in der Regel musikalische Formen, vom Klang und Rhythmus her. Denken Sie an die Romantikergedichte und an Brentano. Da kann man endlos interpretieren und wird natürlich immer einen Sinn finden, wenn man danach sucht.

Das thematisieren Sie ja zum Beispiel in dem Gedicht „Über Lyrik“: „Lyrik lehrt nicht; Lyrik lallt“.

Das Gegenteil ist auch immer wahr. Die lyrischen Lehren müssen auch immer lyrische Formen haben, sonst wären sie trockene Werbesprüche. Für mich als Lesenden, als Rezeptor, ist das musikalische, der Rhythmus, der Klang der Form immer wichtiger als die ganze Lehre. Da kann Karl Kraus noch so kommen mit seiner Definition des Reims „Er ist das Ufer, wo sie landen, / sind zwei Gedanken einverstanden.“ Klar, soll sein, aber das Gegenteil muss auch wahr sein, als Kontrast der Gedanken.

Ihre Gedichte laufen selten auf eine Pointe zu. Sie scheinen eine andere, komplexere Form von Komik zu bevorzugen. Stimmt das? Wie würden Sie diese Form von Komik beschreiben?

Ich tu mich da schwer. Bei mir wird es immer ein bisschen eine Überfluss- und Überschussproduktion sein, wo es oft nach der Pointe noch weiterläuft, einfach weil der Motor angelaufen ist. Zudem habe ich da mein Ei gelegt mit den Kritikern der Elche und selber welche. Das soll erst mal reichen.

Sie haben viele Balladen geschrieben. Warum mögen Sie gerade die Balladenform?

Das ist bei mir so, wenn der lyrische Motor mal läuft, dann läuft auch die Produktivität an. Das ist vielleicht ein Gegengift zur kurzen Pointe. Ob es der Abschied vom Renault C4 ist oder mein allerlängstes über einen Kulturhistoriker, den Eduard Fuchs: Da gibt es Stoff, Informationen und wenn man erst mal die Leier hat, dann läuft das. Von Heine gibt es da Unübertreffliches, wenn er mal drin ist und den Riemen auf die Orgel gelegt hat, dann gibt es kein Ende.

Ist das auch etwas, was Sie anstreben, so einen Volksliedton?

Könnte schon sein. Also, verständlich müsste es sein und einfach gestrickt. Nicht diese lyrischen Dekadenzmaßnahmen, wo der Schwierigkeitsgrad erhöht wird, die Anstrengung des Lesers gefordert wird. Bei erzählerischen Gedichten kann das eigentlich bloß nerven.

In einem Brief an Peter Köhler haben Sie die Klassifizierung als Nonsens-Autor einmal als „heimliche Herrschaftsmaßnahme“ beschrieben, als einen tolerierten „Spielplatz für Spinner“. Sehen Sie das heute genauso?

Inzwischen ist dieser Spielplatz ein großer Park geworden. Es gehört eigentlich inzwischen zum Werbegeschäft. Jede Zeitung hat doch ihre Satire- und Spaßseiten, die teilweise ein hohes Niveau haben. Das ist jetzt nicht mehr der Platz, wo die Bohemiens hingestellt werden. Das ist ein öffentliches Volksvermögen und in den Medien groß vertreten. Die taz hat eine ganze Seite, jeden Tag, die nur davon lebt.

Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Komik heute mehr toleriert wird als früher?

Gefordert wird sie, gefordert! Der fröhliche Unfug, früher nannte man das blühender Blödsinn, der ist so weit verbreitet, dass man da eigentlich einschreiten müsste: Ja, nehmt ihr denn gar nichts mehr ernst? Sie können es widerlegen oder bestätigen, ich meine, dass dieser Bereich des Freilaufs und Sich-Austobens bis an die Ekelgrenze, erlaubt, gefordert, toleriert ist.

In den 60er-Jahren war das noch anders?

Ja, da waren wir wohl so ein bisschen Wegbereiter in pardon. Da gab es natürlich in den Illustrierten die Witzseiten. Mit spitzer Feder. Die hätten von den Amis viel lernen können, die waren schon sehr viel weiter. Es gab einzelne Lichtgestalten, wie Heinz Erhardt. Der wurde dann ja auch wieder eingemeindet, als komische Type im Film, als Spießer. Aber er hat was erfreulich Anarchisches gehabt. In Hessen gab es die Familie Hesselbach, die jede Woche im Fernsehen kam. Die hat sehr schöne Pointen und trockene Gags gehabt.

Sie dichten, zeichnen, verfassen Prosa und haben ein Sachbuch über die Kunst der Zeichnung veröffentlicht. Gerade ist ein Band mit Ihren gesammelten Dramentexten herausgekommen. Wie kommt es zu diesem Spagat über die Gattungsgrenzen hinweg?

Das war Arbeitsprinzip der Kollegen in Frankfurt, alles einmal auszuprobieren. Das war eigentlich selbstverständlich. Und bei den Dramen, da hat sich einfach was angesammelt im Laufe von 30 Jahren. Wie gesagt, Programm war dann eher alles. Also bei mir mit den Eingrenzungen, zum Ernstfall habe ich nix zu sagen.

Sie würden sich aber schon als Künstler in der Lyrik sehen?

Mir soll’s recht sein. Dass die Komik eine Kunst ist oder ein Element, das in allen Künsten seinen Platz haben kann, das hat ja nun wirklich Gernhardt in seinem „Hell und Schnell“-Band mit Zehrer zusammen bewiesen. Seine Entdeckung war ja auch, dass das komische Gedicht in Deutschland eine ununterbrochene Tradition hat, wie in keinem anderen Sprachbereich in Europa. Lichtenberg, Wilhelm Busch, Morgenstern, Ringelnatz, Tucholsky und Kästner. Die sind immer anerkannt worden. Gut, es gab natürlich die Kunstrichter, die sagten: Ach, das ist nur Morgenstern, aber Kunst ist Rilke. Aber die handwerkliche Qualität von den Sachen war vorbildlich. Also, das komische Gedicht ist eine Kunstgattung. Und wenn ich dazu beigetragen habe …

Die Gleichung „Kunst ist gleich Ernst“ würden Sie nicht stehen lassen?

Nein. Die Höchstform von Lyrik ist sowieso eine Mischform von Komik und Ernsthaftem. Celan schrieb die „Todesfuge“. Der ursprüngliche Titel hieß „Tango des Todes“, also eine Parodieform. Und dann kommen so pointierte Sachen darin vor. Im ganzen Todesfugengedicht kommt nur ein Reim vor, also zwei Zeilen, die sich reimen: „der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau/ er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau“. Das ist eigentlich eine Komikpointe, die hier natürlich im Ernstfall eingesetzt ist. Bei Goethe gibt es auch solche Formen, die eine Vollendung haben, dass es da egal wird, ob’s tragisch oder komisch ist. „ … sein Auge ist blau/ er trifft dich genau …“ Das leiert so schön daher. Das bringt auf der einen Seite die Bösartigkeit im Gewand des Idyllischen so schön raus und wirkt viel kräftiger als die Expressionismen, die sonst in dem Gedicht sind. Und wie lange hat es gebraucht, jetzt im Prosabereich, Eckhard Henscheid war da ein Bahnbrecher, bis man gesehen hat, dass Kafka komisch ist.

Gibt es so etwas wie einen Imperativ, den Sie bei jedem Werk verfolgen?

Was ist mein: Du sollst? Nicht langweilen wäre eins. Was der ernsthafte Dichter oder Prosaschreiber zum Beispiel nicht haben darf. Wenn ihm was wichtig ist, dann muss er gegen den Leser schreiben. Aber das wären zwei: Langweile nicht! Nerve nicht!