Langes Warten auf einen deutschen Paß

■ Über 30.000 „Ausländer“ warteten im vergangenen Jahr auf ihre Einbürgerung. Durchschnittliche Wartezeit: zwei Jahre

Die Übergabe erfolgt unspektakulär um 11 Uhr. Ausgetauscht werden ein fester Händedruck, eine grünmarmorierte Urkunde mit Bundesadler und eine Empfangsbestätigung. „Ab heute sind Sie deutscher Staatsangehöriger. Herzlichen Glückwunsch.“ In weniger als zwei Minuten hat die Kreuzberger Standesbeamtin Anja Kügler aus dem Syrer Gassan Doba einen Deutschen gemacht. Eine kurze Zeit, gemessen an den zwei Jahren, die Gassan auf diesen Augenblick gewartet hat.

In Berlin warteten Ende vergangenen Jahres 31.500 Menschen auf ihre Einbürgerung. Allein im Standesamt Kreuzberg liegen noch 2.500 unbearbeitete Anträge, in Wedding sind es 2.663. Eingebürgert wurden dort im letzten Jahr nur 329 Ausländer. Länger als ein Jahr dauert es, bevor ein Sachbearbeiter einen Antrag in die Hand nimmt. Ein weiteres Jahr vergeht, bis eine Einbürgerung abgeschlossen ist. „Vier Monate wären eine akzeptable Frist“, sagt dagegen Standesbeamtin Kügler.

Gut drei Jahre hat Hatice Esiyok warten müssen, bevor sie ihren türkischen Paß abgeben konnte. Vor zwanzig Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Berlin, drei Geschwister wurden im Urbankrankenhaus geboren. Als sie vor drei Jahren ihre Schwester in England besuchen wollte, mußte sie beim türkischen Konsulat um ein Visum bitten. Das dauerte ein halbes Jahr. „Da habe ich zum ersten Mal überlegt, Deutsche zu werden.“

Wer länger als fünfzehn Jahre in Deutschland lebt, hat einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung. Voraussetzung ist ein gesicherter Lebensunterhalt sowie der Nachweis eines „tadellosen“ Führungszeugnisses. Auch jenen, die von Sozialhilfe leben, darf die Einbürgerung nicht verwehrt werden. „Wir prüfen nur, ob der Bewerber sich in Deutschland eingeordnet hat“, sagt Standesbeamtin Kügler. In einem Gespräch prüft sie, wie gut der Bewerber deutsch spricht. Einen Rechtschreibetest, wie er etwa in Bayern noch üblich ist, verlangt die Innenverwaltung nicht mehr. Diejenigen, die wie Gassan Dobra noch keine fünfzehn Jahre hier wohnen, haben keinen Anspruch. Ihre Einbürgerung liegt im Ermessen der Innenverwaltung. Sie können nach zehn Jahren einen Antrag stellen, dürfen aber in der Regel nicht von staatlicher Unterstützung leben.

Etwa zwei Drittel aller Besucher, die im Standesamt Kreuzberg an der Zimmertür 358 klopfen, sind türkische Jugendliche und ihre Eltern. Aber viele Jugendliche kommen auch allein. Für sie gelten moderate Regeln. Jeder, der zwischen 16 und 23 ist, entweder eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung hat, soll eingebürgert werden, wenn er seit acht Jahren in der Bundesrepublik lebt und sechs Jahre zur Schule gegangen ist. Einer Einbürgerung steht nichts mehr im Wege, sofern er nicht wegen einer schweren Straftat verurteilt worden ist. Es ist nicht unbedingt das Gefühl, dabeisein zu wollen, das sie zum Standesamt drängt. Die wenigsten fühlen sich als Deutsche. Vielmehr verlangt es sie nach rechtlicher Gleichstellung. Sie sind pragmatisch orientiert, wollen keine überflüssigen Behördengänge mehr, versprechen sich eine bessere Chance auf eine Ausbildungsstelle und wollen ihre Zukunft abgesichert in Deutschland planen können. Annette Rogalla