Langer Atem

Emine Demirbüken-Wegner kandidiert als erste Türkischstämmige für den Bundesvorstand der CDU. Das Porträt einer Berliner Pionierin

Sie hat sich Feinde in der Union gemacht, weil sie den EU-Beitritt befürwortet Bei der CDU findet sie sich mit ihren Wertvorstellungen am besten wieder

VON STEFAN ALBERTI

Sie liegen zu gerade nebeneinander, diese Bücher auf dem kniehohen Wohnzimmertisch. Völlig parallel, wie mit dem Lineal ausgerichtet. Clintons Memoiren, Neues von Schäuble und etwas zur Kindererziehung. „Ich bin da vielleicht überintegriert in die preußischen Tugenden, deutscher als die Deutschen, was Ordnung und Disziplin angeht.“ Emine Demirbüken-Wegner, die das mit ruhiger, heller Stimme sagt, ist Deutsche, doch nicht von Geburt an. Das geht Zehntausenden in Berlin so. Demirbüken-Wegner aber ist die Erste, die als Türkischstämmige und Muslima in den Bundesvorstand der Christdemokraten rücken soll. Am Sonntag wird sie in einen Zug steigen und zum Düsseldorfer Parteitag der CDU fahren. Dort wird sich am Montag zeigen, ob die Union schon bereit für sie ist.

Demirbüken-Wegner mag diese Sichtweise nicht. Der Landesverband habe sie doch nicht bloß aufgestellt, weil sie in der Türkei geboren ist. „Ich muss wohl auch irgendwelche Fähigkeiten und Qualifikationen haben.“ Aber von ihr sei stets nur als „der Türkin“ oder „der Türkischstämmigen“ die Rede. Dass bei den Landesvorstandswahlen 2002 sie und ein weiterer Türkischstämmiger die schlechtesten Ergebnisse bekamen, das habe mit damaligen Lagerkampf in der CDU zu tun gehabt. Die Zeitungen würden das anders darstellen.

Die 43-Jährige, deren Kandidatur so große Schlagzeilen macht, ist selbst eine zarte, schlanke Frau. Knapp 1,65 Meter, mit fein geschwungenen Augenbrauen und schulterlangem dunklem Haar, in das sich einige graue Strähnen mischen. Ein Laufstall steht in ihrem Wohnzimmer: Ein Geschenk des Himmels nennen sie und ihr Mann die zehn Monate alte Tochter Serafina, zu deutsch Engelchen. Zweisprachig und in zwei Religionen wollen sie das Kind erziehen. Vor der Geburt habe sie als Integrationsbeauftragte in Tempelhof-Schöneberg 14 bis 16 Stunden am Tag gearbeitet – „mit dem Kind muss es wohl anders werden“.

Als konservativ-liberal bezeichnet sich Demirbüken-Wegner. 1995 trat sie der CDU bei, doch „nicht mit der Brille einer Türkin“. Viele würden sich eine Partei anhand der Ausländerpolitik suchen. Für sie aber war entscheidend, wo sie sich mit ihren Wertvorstellungen am besten wiederfand. Die Grünen waren ihr zu chaotisch und orientierungslos. Die SPD sei nie in Frage gekommen: „Die tut so, als sei sie der beste Freund der Migranten, aber das erlebe ich nicht so.“ Das bezieht sie vor allem auf die Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei, den die CDU ablehnt und die SPD neuerdings befürwortet: „Ich habe lieber ein klares Nein als ein Jein.“

Sie selbst hat sich Feinde in der Union gemacht, weil sie den Beitritt befürwortet. Wobei sie differenziert: Sie habe nie gesagt, dass die Türkei morgen in die EU soll. Die Türkei sei zur Zeit nicht EU-fähig, die EU zur Zeit nicht aufnahmefähig. „Doch wenn die Türkei in 15 Jahren alle Kriterien erfüllt, dann weiß ich nicht, mit welcher Begründung die Türkei nicht aufgenommen werden sollte.“

Das sind die Sätze, die Lothar Tietz sagen lassen: „Sie passt nicht zu uns.“ Tietz ist nicht irgendwer in der Berliner CDU, sondern eine ämterreiche Lokalgröße in Neukölln. Vorstandsmitglied, Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung, Kreischef der CDU-Mittelstandsvereinigung. Niemals, sagt er, hätte er Demirbüken-Wegner für den Bundesvorstand vorschlagen, wie das Landeschef Zeller getan hat. Und mit dieser Sicht stehe er nicht allein. „Für mich ist auch fraglich, ob sie gewählt wird.“

Auch strategisch hält er ihre Nominierung für einen Fehler: Die CDU könne dann zwar bei den Türkischstämmigen hinzugewinnen, verliere aber ein Vielfaches an deutschen Wählern und Mitgliedern. Das hat Tietz so ähnlich schon 2001 gesagt. Da wohnte Demirbüken-Wegner noch in Neukölln und wollte dort fürs Abgeordnetenhaus kandidieren. Man ließ sie nicht. Sie habe sich auch in der Ortsverbandsarbeit rar gemacht, sagt Tietz. Als Person habe er übrigens nichts gegen sie.

„Tietz gehört aus Neuköllner Zeiten noch immer zu den Menschen, deren Meinung ich hoch respektiere, weil er offen ausspricht, was er denkt“, sagt Demirbüken-Wegner. Aus „Neuköllner Zeiten“: Das scheint Welten entfernt, wenn man jetzt bei ihr in Hermsdorf auf dem Sofa sitzt. Nicht dass sie dort, im Nordwesten Berlins, allein unter Eingeborenen wäre. Auch dort gibt es am S-Bahnhof Döner und Falafel. Aber die meist zweistöckigen, freistehenden Häuser ihrer Nachbarschaft bieten ein anderes Bild als Neukölln-Nord mit seiner dichten Bebauung und dem türkischem Flair.

Zwei Männer haben sie dorthin gebracht. Der eine heißt Frank Steffel, früher CDU-Fraktionschef, noch immer Chef der CDU Reinickendorf. Er setzte sie 2001 in seinem Kreisverband als Kandidatin durch, nachdem die Neuköllner sie nicht wollten – der Listenplatz reichte letztlich nicht zu einem Parlamentssitz. Und er holte sie in sein Wahlkampfteam. „Steffel hat der Migrantenszene eine Tür ganz, ganz weit geöffnet“, sagt sie über ihren Förderer, der für viele in der Union der Antityp schlechthin war und immer noch ist.

Der zweite Mann heißt Michael Wegner, auch er CDUler, und auch er ist nicht nur schlichtes Parteimitglied, sondern Baustadtrat, Landeschef der Mittelstandsvereinigung – und seit 2003 ihr Ehemann. Unbändigen Fleiß, Ehrlichkeit und Durchhaltestärke nennt er als herausragende Charakterzüge seiner Frau.

Beharrungsvermögen spricht ihr niemand ab. Seit Jahren taucht in Texten über sie mantrahaft der Satz auf, man müsse einen langen Atem haben. Denn nicht nur die Neuköllner mochten sie nicht bei sich sehen. Als die hessische CDU 1999 die Kampagne gegen den Doppelpass begann, startete Demirbüken-Wegner in Berlin eine Gegenaktion.

Sie mag nicht sagen, wo ihre Toleranz für Derartiges endet – und ob es für sie überhaupt eine Bis-hierher-und-nicht-weiter-Grenze gibt. Als die CDU-Mitte Oktober eine Unterschriftenaktion gegen einen EU-Beitritt der Türkei diskutierte, drohte Berlins einziger türkischstämmiger CDU-Ortsverbandschef, Sedat Samuray, mit Parteiaustritt. Demirbüken-Wegner kritisierte die Kampagne zwar scharf als „Gift für die Integration der hier lebenden Türken“. Ein Austritt war für sie aber kein Thema: Sie werde kämpfen und nicht wegrennen. Wenn es Ängste bei den Menschen gebe, müsse man ihnen Zeit lassen und dürfe sie nicht überrollen.

Unterstützung für diese Position kommt aus einer Ecke, aus der sie nicht unbedingt zu erwarten ist. Die Politik der CDU könne man nicht ändern, wenn alle Türkischstämmigen der Partei fern blieben, sagt Safter Cinar, Sprecher des Türkischen Bunds (TBB). Auch Demirbüken-Wegner war dort mal Sprecherin, schied Ende der 90er aber nach heftigem Streit aus. Cinar argumentiert ähnlich wie sie, wenn es um die Parteiauswahl geht: Sich nur an der Migrantenpolitik zu orientieren, begrenze den Menschen auf seine Herkunft. Wenn sich Demirbüken-Wegner wegen ihrer konservativen Haltung in anderen Bereichen in der CDU wiederfinde, sei das doch legitim.

Über ihre Arbeit als Integrationsbeauftragte – den Job macht sie seit 1988 – gibt es verschiedene Stimmen. Sehr gut arbeite sie, urteilt Cinar. Vor Ort, in Tempelhof-Schöneberg, kann man hingegen beim politischen Gegner hören, sie benutze das Amt, um in der CDU voranzukommen.

Auch bei linken türkischstämmigen Politikern ist die Resonanz auf Demirbüken-Wegner unterschiedlich. Da fällt der Begriff der „Quotenfrau“, die von einer gar nicht migrantenfreundlichen Union eingespannt werde. Zu hören ist aber auch die Einschätzung als qualifizierte Frau und standhafte Politikerin, die sich nicht als Feigenblatt missbrauchen lasse und von der es möglichst mehr in der CDU geben solle.

Ob das ab Montag auch für den Bundesvorstand gilt, ist noch unsicher. Parteichefin Angela Merkel und die beiden größten Landesverbände begrüßen zwar ihre Kandidatur. Aber zur CDU gehören auch Leute wie Lothar Tietz und die Junge Union, die ihre Nominierung ebenfalls ablehnt.

Ein Austritt, ein Zurückziehen, soll für sie auch bei einer Niederlage kein Thema sein. Wieder kommt ihr Mantra zum Tragen: „In der Politik muss man einen langen Atem haben – und ich bin noch nicht so alt, dass mir dann alle Wege versperrt wären.“