Langen - die neue „Hauptstadt der Bewegung“

Die rechtsradikale FAP terrorisiert seit Monaten die BürgerInnen der südhessischen Stadt Langen / Kühnen und Volksgenossen wollen bei den hessischen Kommunalwahlen im März '89 mitmischen / Die FAP will Langen zum Fanal für den Aufschwung der „nationale Bewegung“ machen  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Der kleine Hassan kam vor zwei Wochen verstört vom Spielen nach Hause. Mehrere Männer mit kahlgeschorenen Köpfen und mit Bomberjacken hatten ihn mit der Begründung vom Spielplatz vertrieben, daß dies ein „deutscher Spielplatz“ sei, auf dem „Ausländerkinder“ nichts zu suchen hätten. „Verstört“ reagierte auch der deutsche Vater einer sechsjährigen Tochter, als ihm sein Kind eröffnete, daß es nicht mehr mit den „Ausländerkindern“ spielen wolle. Die Ausländer würden den Deutschen schließlich die Arbeitsplätze wegnehmen. Das jedenfalls hätten die anderen Kinder ihr gesagt. Und in der Schule lägen überall gelbe Zettel, auf denen „Ausländer raus!“ stehen würde.

In der südhessischen Stadt Langen im Landkreis Offenbach geht die Saat der Neonazis um den im März aus der Haft entlassenen Michael Kühnen und seinen „Statthalter“ Thomas Brehl auf. Die Stadt Langen mit ihren rund 30.000 Einwohnern soll die neue „Hauptstadt der Bewegung“ und die „erste ausländerfreie Stadt Deutschlands“ werden. Und der bierbäuchige Brehl, dessen Vorbild „der deutsche Soldat im II. Weltkieg“ ist, hat schon während der Haft von „Führer“ Kühnen den Boden in Langen bereitet. Seit rund zwei Jahren zeigt die FAP in Langen Hakenkreuzflagge: Da wurde „Führers Geburtstag“ in einer Langener Diskothek gefeiert, da marschieren die etwa dreißig Neonazis in unregelmäßigen Abständen nachts durch die Stadt und gröhlen ihre Parolen („Sieg Heil!“), da wurden Ausländer und Antifaschisten zusammengeschlagen, da werden von der FAP an den Wochenenden „Infostände“ aufgebaut und Flugblätter in die Briefkästen gesteckt, auf denen gegen AusländerInnen, AsylbewerberInnen und AussiedlerInnen gehetzt wird.

Schwerpunkte der neonazistischen Aktionen und Agitationen sind die Langener Schulen. Und die selbsternannten Volksgenossen um Brehl schrecken nicht davor zurück, ihr Propagandamaterial selbst an und vor den Grundschulen und Kindergärten zu verteilen.

Auf einem Treffen der Langener Antifa-Initiative in der vergangenen Woche berichteten LehrerInnen denn auch von einem „Klima der Angst an den Schulen“, unter dem vor allem die ausländischen Kinder zu leiden hätten. Als vor Wochenfrist das Gerücht umging, daß die Langener Neonazis verstärkt durch Skinheads aus Frankfurt - in verschiedenen Schulen der Stadt „Türken zusammenschlagen“ wollten, kam es zu panikartigen Reaktionen ausländischer SchülerInnen und Eltern: Viele türkische Kinder kamen erst gar nicht in die Schule. Andere wurden von ihren Vätern in die Schulen gebracht, die dann - zusammen auch mit deutschen Vätern die Schulhöfe bewachten. In den Klassen diskutierten die LehrerInnen mit den Kindern das Problem des Rechtsradikalismus und selbst noch in den ersten Klassen wurden Gesprächskreise gebildet - „soweit, wie man mit sechsjährigen Kindern das Thema überhaupt behandeln kann“, wie eine Grundschullehrerin den Versammelten berichtete. Sie sei jedenfalls „gerührt und schockiert zugleich“ gewesen, als die Kleinen nach Schulschluß in Gruppen ihre ausländischen MitschülerInnen händchenhaltend nach Hause gebracht hätten: „Wie weit ist es in Deutschland schon wieder gekommen?“

Die Mitglieder der Langener FAP und ihre Sympathisanten kamen dann tatsächlich. Allerdings traf sich die Truppe am Langener Bahnhof. Von dort aus fuhren die Neonazis mit der S -Bahn nach Frankfurt, um in Bockenheim - im Vorfeld der angekündigten Kundgebungen der NPD - Flugblätter zu verteilen.

Doch ihr strategisches Ziel hatten sie in Langen auch ohne die direkte Aktion erreicht, wie ein Antifaschist zornig konstatierte: „Das Klima der Angst hat sich weiter verschärft. Und die FAP ist ohne großen Aufwand wieder einmal überall im Gespräch.“

Michel Kühnen, der sich bei den direkten Aktionen in Langen vornehm zurückhält und dem grobschlächtigen Brehl das Feld überläßt, hatte bereits im Mai '88 den südhessischen Volksgenossen das politische Ziel der verstärkten Aktivitäten vorgegeben: Teilnahme an den hessischen Kommunalwahlen in Frankfurt und in Langen. Aus „juristischen Gründen“ werde die FAP unter dem Titel: „Ausländer raus / Nationale Sammlung (NS)“ als Wählerinitiative antreten.

Kommunalwahlen als Fanal?

Bereits im Mai '88 hatte Kühnen während einer „NS-Werbereise durch Deutschland“ der taz auf Anfrage erklärt, daß das Vorbild für die „neue Bewegung“ der Aufschwung der Rechten in Frankreich unter Le Pen sei. Kühnen: „Der Siegeszug Le Pens begann mit Erfolgen auf der lokalen Ebene, die von den Medien hysterisch aufgenommen wurden.“ Und für Kühnen stehen die Chancen für einen Aufschwung der „nationalen Bewegung“ nicht schlechter als in Frankreich: „Die Unzufriedenheit hierzulande unter Bauern, alten Leuten, Vertriebenen, arbeitslosen Jugendlichen wächst auch bei uns. Ein Erfolg bei den hessischen Kommunalwahlen wäre ein Signal.“ Und das soll dann zum „Fanal“ werden für einen Aufschwung der Rechten in der ganzen Republik.

Kühnen fand nach seiner Haftentlassung in Langen bei dem stadtbekannten Nazi und Schäferhundeliebhaber Heinz Reisz Unterschlupf, der Chef eines ortsansässigen Unternehmens für Brunnen- und Probebohrungen und „Vorsitzender“ einer sogenannten Freien Gewerkschaft ist. Zusammen mit Brehl, der den Kontakt zu den Skinhead-Schlägerbanden hält, koordiniert das rechtsradikale Trio die Aktionen der FAP-Gruppe, die sich demnächst in eine NS-Gruppe wandeln wird: Kühnen als Kopf, Reisz als ortskundiger Altnazi, der in den secziger Jahren schon für die NPD im Stadtparlament saß, und Brehl als der Mann fürs Grobe. Noch hat die Truppe keine Liste für die Kommunalwahlen eingereicht, doch das letzte 'Stürmer' -Flugblatt, das von den fleißigen Neofaschisten 12.000fach in Langen verteilt wurde, kündigte die Teilnahme an der Kommunalwahl erneut an.

In Langen formiert sich aber auch Widerstand gegen den realen Terror und auch gegen den Psychoterror der Neonazis, der an die niedrigen Instinke der deutschen BürgerInnen in Langen appelliert und der vor allem die ausländischen MitbürgerInnen der Stadt extrem bedroht. Mehr als sechzig Menschen unterschiedlichster politischer Couleur waren vergangene Woche der Einladung der Langener Antifa -Initiative auf Diskussion von Gegenmaßnahmen gefolgt. Und zeitgleich verabschiedete das Stadtparlament einstimmig eine „Langener Erklärung“, in der den Neofaschisten deutlich gemacht wird, daß man sie in der Stadt nicht haben will und daß man in Langen solidarisch zu den ausländischen MitbürgerInnen stehe.

Während man im Stadtparlament allerdings noch „Unterstützung von der Bundesregierung im Kampf der bedrängten Städte gegen die Neonazis“ erwartet, äußerten sich die Mitglieder der Antifa-Initiative eher skeptisch. An eine Regierung, die mit einer ausländerfeindlichen Politik den Boden für die Rechtsradikalen mitbereitet habe, könne man nicht mehr appellieren. Und nachdem ein Sprecher der Initative generell Zweifel an der Wirksamkeit eines Verbotes der FAP geäußert hatte („Nach einem Verbot organisieren sich doch die gleichen Leute unter einem anderen Namen wieder neu.“), wurde ein Flugblatt der Antifa-Initiative, das einen konkreten Appell an Innenminister Zimmermann auf Verbot der FAP zum Inhalt hatte, zur Neuformulierung zurückgezogen. Zeitgleich mit der „Langener Erklärung“ hatte auch die Landtagsfraktion der hessischen SPD ein Verbot der FAP gefordert und an die Landesregierung appelliert, im Bundesrat entsprechende Initiativen zu unterstützen.

Am 9. November wollen die Langener Antifaschisten - „und hoffentlich auch all die Bürgerinnen und Bürger, denen das freche Auftreten der Neonazis in unserer Stadt ein Greuel ist“ - mit einem Fackelzug zum Gedenken an die Pogromnacht vor 50 Jahren auch demonstrieren, daß man in Langen nicht bereit ist, den Rechtsradikalen heute die Straße zu überlassen. Den volksverhetzenden Aktivitäten der Kühnen -Gruppe müsse jetzt offensiv der Kampf angesagt werden.

Und die Polizei? Die Beamten aus dem zuständigen Offenbacher Kommissariat beschränken sich noch auf die Observation der Kühnen-Truppe. Allgemein wird in LKA- und in Polizeikreisen davon ausgegangen, daß sich die Neofaschisten bis zu ihrer Zulassung zur Kommunalwahl mit direkten Aktion zurückhalten werden, um diese Zulassung nicht zu gefährden. Die Polizei hat - nach der Verteilung des 'Stürmer' -Flugblattes - ein Verfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet, das bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt anhängig ist. Nach Informationen aus Polizeikreisen sind die Aussichten auf einen erfolgreichen juristischen Schlag gegen die Langener Neonazis allerdings gering. Nach einem BGH -Urteil ist nämlich die öffentlich erhobene Forderung: „Ausländer raus!“ keine Volksverhetzung sondern eine „freie Meinungsäußerung“. Angst, so das Flugblatt der Antifaschisten, dürfe nicht wieder zur Untätigkeit führen: „Erinnern wir uns, um Wissen zu schöpfen und der gegenwärtigen Bedrohung tätig begegnen zu können.“