: Lange Wege durch weite Wässer
Seepferdchen, Talentgruppe, Olympiastützpunkt: Katrin Freckmann ist 14 und Leistungsschwimmerin. Das Familienleben wird bestimmt von Trainingsmonotonie – und Hoffnung ■ Von Cordula Eubel
Dreizehn Uhr zehn. Schulschluß. Ein Wohnmobil hält vor dem Gymnasium in Winsen an der Luhe, der niedersächsischen Kreisstadt im Süden von Hamburg. Katrin steigt ein. Ihre Mutter Monika sitzt am Steuer, gibt Gas und fährt auf die Autobahn. Nächster Halt: Ein Parkplatz in Hamburg-Dulsberg, 50 Kilometer weiter.
Katrin fängt an, ihre Hausaufgaben zu machen. Mutter bereitet derweil auf dem Herd im Wohnmobil das Mittagessen zu. Kurz vor drei nimmt Katrin ihre Sporttasche und verschwindet in einem flachen Gebäude neben dem Parkplatz.
Katrin Freckmann (14) ist Leistungsschwimmerin in Hamburgs Verbandskader. Täglich fährt sie mit ihrer Mutter zum Olympiastützpunkt nach Hamburg-Dulsberg. Das Leben der Familie dreht sich um Katrin und um das Schwimmen: Montag bis Freitag Training von 15 bis 18 Uhr. Dienstags und donnerstags auch morgens früh von sechs bis sieben Uhr, vor der Schule halt. Am Wochenende: Wettkämpfe. Falls mal keine stattfinden: Training. In den Schulferien: Trainingslager.
Wenn die tägliche Trainingsfron beginnt, sitzt Katrins Mutter gemeinsam mit anderen Eltern an einem weißen Plastiktisch – direkt vor einer Glaswand mit Blick auf die Schwimmhalle. Dort zieht der Nachwuchs seine Bahnen, etwa 40 Kinder und Jugendliche mit muskulösen Körpern und breiten Rücken. Aus der Halle ist kaum etwas zu hören außer den Anweisungen der Trainer und dem Plätschern des Wassers. Um so lauter geht es im Vorraum zu: Stolz reden Mütter und Väter über die Erfolge ihrer Sprößlinge bei den letzten Wettkämpfen. Die Eltern sorgen nicht nur für den Transport, sondern werden auch als Wettkampfrichter eingebunden. „Dabeisein ist alles“, sagt Mutter Freckmann lakonisch.
Der Weg zum Kadertraining war weit: Mit fünf Jahren macht Katrin, wie so viele Kinder, ihr erstes Schwimmabzeichen, das Seepferdchen. „Bei uns gibt es die Ilmenau und viele Fischteiche“ sagt die Mutter, „daher war es uns wichtig, daß unsere Tochter Schwimmen lernt.“ Danach folgte: regelmäßiges Training im Schwimmverein, Aufnahme in die Talentgruppe, Teilnahme an Vereinsmeisterschaften und anderen Wettkämpfen. 1995 gelingt Katrin der Sprung in den Leistungskader nach Hamburg. Sie gehört zu den Jahrgangsbesten und darf im Olympiastützpunkt trainieren.
Wird Schwimmen zur Routine? „Nein“, sagt Katrin, „Lampenfieber gehört zu jedem Wettkampf.“ Gegen die Aufregung hat sie ein Mittel gefunden, das auch gegen die Monotonie der langen Trainingsstrecken hilft. Während des Schwimmens singt sie in Gedanken vor sich hin. „Dann wird mir nicht langweilig.“
Kirsten Bludau (29), studierte Diplomsportlehrerin, ist eine von drei VerbandstrainerInnen im Hamburger Olympiastützpunkt. Sie trainiert die Zehn- bis Dreizehnjährigen. „Können Sie meine Schwimmbrille lockerer machen?“ quengelt Matthias. „Kannst du das nicht zu Hause in der Badewanne üben?“, antwortet Kirsten Bludau in strengem Ton und lockert das Band. „Mir ist heiß“, beschwert sich Elena und wirft ihre Kleidungsstücke auf die lange Holzbank. „Das sagst du jedes Mal“, lacht die Trainerin und streicht sich durch die kurzen blonden Haare. Sie schickt die Kinder zum Blutabnehmen, denn heute steht Ernährungsberatung auf dem Programm. Ohne Widerspruch ziehen die Kleinen davon – kurz darauf kommen sie mit Watte und Pflaster am Arm zurück. „Wann können wir das abmachen?“, fragen Melanie und Mirja.
Nach einer halben Stunde Bauch- und Rückentraining im Trockenen beginnt das eigentliche Schwimmtraining. Die Kinder und Jugendlichen hüpfen in das kalte Wasser, nun plötzlich erstaunlich ruhig und konzentriert. Kirsten Bludau stützt sich auf den Startblock und gibt die erste Anweisung: „200 Meter Kraulen.“ Sie wandert in ihren weißen Birkenstock-Sandalen am Beckenrand auf und ab und kontrolliert die Bewegungen ihrer Schützlinge, die Bahn um Bahn zurücklegen, ohne müde zu werden. „Wer mehr als 20 Stunden pro Woche schwimmt, muß schon ein bißchen verrückt sein“, sagt die Trainerin. Es gibt tatsächlich Kinder, die schon früh den Eindruck haben, im Leben etwas zu versäumen. Aber die hören nach Bludaus Erfahrung mit dem Schwimmen schnell auf. Sie hat auch gelernt: „Kinder sind leistungsorientiert und wollen sich miteinander messen.“
Der monoton durchorganisierte Tagesablauf stört Katrin nicht. Ihre beste Freundin sieht sie nur in der Schule, na ja, doch dafür hat sie neue Freunde beim Schwimmen gefunden. Die Lehrer zeigen sich durchweg kooperativ. Für ein Trainingslager außerhalb Hamburgs bekommt die Achtklässlerin schon mal schulfrei – die Mutter faxt ihr die Hausaufgaben dann halt zu.
Vorbilder? „Hab' ich keine“, sagt Katrin. Und nennt dann doch „die Franzi“, jedenfalls für die Schwimmtechnik. Klar würde Katrin das Schwimmen später gerne zum Beruf machen. Ihr Traum: Goldmedaillen gewinnen, wie die van Almsick. Aber es gibt viele, die gut sind. „Und im Schwimmsport“, so das Fazit der Trainerin Bludau, „ist der Weg weit, bis man es zum Star gebracht hat.“ Weiter jedenfalls als Tag für Tag gerade mal fünfzig Kilometer von Winsen an der Luhe nach Hamburg-Dulsberg.
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