Landwirtschaft in der Ukraine: Magere Ernte
Die Agrarwirtschaft ist dank fruchtbarer Böden die dynamischste Exportbranche des Landes. Doch ihr fehlen Kredite und die Kosten sind hoch.
BERLIN taz | Nun leidet auch der Motor der ukrainischen Exportwirtschaft an der Krise des Landes: Die Getreideernte dürfte in diesem Jahr deutlich geringer ausfallen, warnten Experten erst vor wenigen Tagen. Bis zu 20 Prozent des Agrarlandes können nicht bestellt werden, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters den Verband der ukrainischen Agrarwirtschaft UCAB. Damit dürfte die Getreideernte 2014 mit 52 Millionen Tonnen um etwa 17 Prozent niedriger ausfallen als im Vorjahr.
Die wichtigsten Gründe: Die Krimkrise hat seit Anfang 2014 zu einer drastischen Abwertung der Landeswährung Hrywnia geführt. Die Kosten für Saatgut, Dünger und Treibstoff stiegen dadurch. Zudem ist es wegen der unsicheren Lage in der Ukraine schwerer geworden, einen Kredit zu bekommen.
Die maue Ernte wird sich auf die Weltmarktpreise auswirken, denn das Land gehört zu den größten Getreideexporteuren. Das liegt vor allem an den Schwarzerdeböden, die so viel fruchtbaren Humus enthalten, dass sie tiefdunkel gefärbt sind. In der Ukraine bedeckt Schwarzerde 65 Prozent des Ackerlandes. Und das ist mit 32 Millionen Hektar mehr als doppelt so groß wie das der Bundesrepublik.
Zwar gibt es immer weniger Beschäftigte in der Landwirtschaft – der Trend geht zu größeren Betrieben und mehr Maschinen. Zuletzt sank der Anteil auf etwa 17 Prozent. Dennoch verschafft die Agrarwirtschaft der Ukraine Devisen, die die so dringend benötigen Importe finanzieren können.
Weniger Pestizide, weniger Erträge
„Die Getreideexporte sind der Motor der gesamten Wirtschaft“, sagt Oleksandr Perekhozhuk, Ukraine-Experte am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa in Halle. Der Agrar- und Ernährungssektor lag 2013 mit einem Anteil von rund 26,9 Prozent an den Ausfuhren nur 0,9 Prozentpunkte hinter der Metallbranche. Allein die Landwirtschaft trug 2012 rund 9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Doch da würde viel mehr gehen. Die ukrainischen Landwirte könnten weit mehr aus ihren fruchtbaren Böden herausholen. Zurzeit ernten sie im Schnitt laut Perekhozhuk nur 2,8 Tonnen Weizen pro Hektar – nur ein Drittel so viel wie in Deutschland. Das liegt vor allem daran, dass die Ukrainer weniger Pestizide, Dünger und Hochleistungssaatgut benutzen. Dazu fehlt den meisten Bauern einfach das Geld.
Dennoch raten die meisten Agrarwissenschaftler zu mehr Chemie. „Die Regierung sollte lieber stärker Kleinbauern, Biolandbau und Techniken wie lokal angepasstes Saatgut fördern“, sagt dagegen Olexiy Angurets vom ukrainischen Mitgliedsverband der internationalen Umweltorganisation Friends of the Earth, Zelenyi Svit, zur taz.
Völlig um die Förderung der konventionellen Landwirtschaft wird die Ukraine kaum herumkommen. „Das Land hat 2013 über fünf Millionen Tonnen konventionellen Weizen exportiert“, sagt Agrarökonom Perekhozhuk. „Ich glaube nicht, dass jemand auch nur eine Million Tonnen Bioweizen aus der Ukraine importieren würde.“ Tatsächlich führte etwa die Bundesrepublik 2009/2010 laut Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft insgesamt nur 70.000 Tonnen Ökoweizen ein.
„Die Binnennachfrage nach Bio ist zu niedrig“, erklärt auch Oleg Nivievskyi, Agrarfachmann des Instituts für Wirtschaftsforschung und Politikberatung in Kiew. Im Schnitt gebe eine ukrainische Familie rund 55 Prozent ihres Budgets für Lebensmittel aus. „Deshalb schauen die Leute zunächst auf den Preis – und dann erst, ob es bio oder konventionell ist.“
Übrigens: Eine Abspaltung der Halbinsel Krim dürfte der Landwirtschaft kaum schaden. Hier wachsen nur 2,9 Prozent der Weizenernte. Und: „Alle großen Häfen der Ukraine liegen außerhalb der Krim, in den südlichen und östlichen Bezirken“, sagt der Kiewer Experte Nivievskyi. „Solange diese Häfen zur Ukraine gehören, wären die Landwirtschaftsexporte kaum betroffen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken