: Landung in Berlin
■ Mittelamerika/Karibik-Kongreß ab heute in der AdK
Drüben wird geschossen, gehungert und gefoltert, und jetzt fangen sie hier schon wieder mit Kultur an! Ich denke an die aggressiven Stoßseufzer und Schlimmeres aus der Kiezküche. Ah! Diese Art von Kulturschaffenden. Lilienthal! Arno fällt vom Nachttisch. Oder die spitzen Schreie von denen, die die Euro-Currywurst und den germanischen Tofu-Bratling schon immer für die Basis und Alex Humboldt für den Überbau hielten. Dies schreibend, während Hurrican Joan sich in Nicaragua austobt, ausgerechnet! Also sehr „bekümmert und unbekümmert zugleich“ (Nietzsche, Artist, beim „Donner der Schlacht von Wörth“.)
Heute wird mit Pressekonferenz und Empfang ein Internationaler Kongreß für kulturelle Zusammenarbeit/Mittelamerika-Karibik begonnen. Peter Lilienthal ist von der Akademie der Künste beauftragt, dem Kongreß-Präsidenten unter die Arme zu greifen: Padre Ignacio Ellacuria von der Gesellschaft Jesu (SJ) ist gleichzeitig Rektor der Universidad Centro Americana Jose Simeon Canas in San Salvador und Inhaber eines Kuriosums, nämlich des einzigen Lehrstuhls für Menschenrechte auf dem Kontinent. (Er hat eine etwas andere Art von Angst als wir, nämlich keine.
„Wenn er sich in seiner Universität, wie ich es heute gemacht habe, mit seinem Verwalter unterhält, denn setzt er sich in eine Ecke und paßt auf, daß er nicht mit dem Rücken zum Fenster sitzt, denn da könnten sie eventuell reinknallen ... Wir können uns, weil wir soviel Geld und so viel Zeit und so viel Essen haben, diese metaphysische Angst erlauben, die die anderen gar nicht kennen. Vielleicht werden sie sie eines Tages auch empfinden.“ Lilienthal) Der Idee nach ist es ihr Kongreß. „Wenn ich mir überlege, daß wir in den letzten 20 Jahren in der Loge saßen, während die anderen in der Küche gegessen haben“, dann freut man sich auf das Erscheinen des Küchenpersonals. Zuwenig Bauern und Esser genug, aber die namhaften Köche!
Das kubanische „Casa de las Americas“ ist eine Institution, die zusammen mit dem eigenen Verlag bereits kulturelle Aktivitäten in ganz Lateinamerika vermittelt. Ebenfalls kubanisch sind die Internationale Film- und Fernsehschule in San Antonio de Los Banos mit Direktor Fernando Birri, der seinen Film „Un Senor muy viejo con unas alas enormes“ („Ein sehr alter Herr mit riesengroßen Flügeln“) und Produktionen der Schule vorführt. Ankommt der Vizepräsident von Nicaragua, Sergio Ramirez, als Vertreter der Dichter und Denker, die gleichzeitig Politiker sind. (Seine beiden Leibwächter müssen ihre Kanone in Frankfurt abgeben. Denn in Berlin gibt es ein Gesetz, das einen mit dem Tode bedroht, wenn man dieselben hier herumträgt.) Dann die vielen europäischen Lateinamerikaner, und die Europäer, deren Leidenschaft die interkulturelle Zusammenarbeit ist (Robert Jungk, Christa Wolff, Heiner Müller; wozu soll man Antonio Skarmeta rechnen? usw. usf.
Ein Kongreß lebt naturgemäß vom „Twospeak“ (Orwell). Im Klappentext geht es um furchtbar Großes, sonst aber um etwas furchtbar Einfaches, nämlich schlichtweg um Kooperation, Erzählungen (von Männern über Frauen und Kinder, von Frauen über?) und die Möglichkeit, etwas einige tausend Kilometer weiter weg zu tun, was eigentlich im Umkreis von 500 km getan werden müßte. „Zukunftsentwürfe“, und dazu gehört unbedingt die „Mediensituation“.
Martin Reuter
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