Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern: Gefühlsarmut im Nordosten
Zwischen Ueckermünde und Wismar gibt es einfach kein polarisierendes Thema. Sagen selbst die Parteien. Ein Wahlkampf zum Wegbleiben.
![](https://taz.de/picture/254192/14/sellering.jpg)
SCHWERIN taz | Mecklenburg-Vorpommern wählt. Wie es am 4. September ausgeht, ist absehbar: Die SPD gewinnt. Ministerpräsident Erwin Sellering, ein freundlich-jovialer Sozialdemokrat aus dem Ruhrgebiet, kann entweder mit der CDU weiterregieren oder mit der Linkspartei koalieren.
Am Montagabend debattieren die Spitzenkandidaten in Schwerin auf Einladung der Schweriner Volkszeitung: der populäre Sellering (SPD), CDU-Innenminister Lorenz Caffier, Linkspartei-Oppositionsführer Helmut Holter und die Kandidaten von Grünen und FDP. Fünf Männer, alle mit gestreiften Krawatten, nur Holter trägt eine unifarbene. Was bei der Debatte eher fehlt, ist das Volk. Knapp 80 Zuschauer sind gekommen. Zieht man die übliche Politiker-Entourage aus Bodyguards, Spin-Doktoren und Mitarbeitern ab, wollen drei Dutzend Bürger etwas vom Wahlkampf wissen. Wer sich für die Krise der Parteiendemokratie interessiert, ist hier richtig.
Nirgends sind die Löhne so niedrig wie in Mecklenburg-Vorpommern. Rund 6.000 Euro jährlich verdient man zwischen Ueckermünde und Wismar weniger als im Bundesdurchschnitt. Die Linkspartei fordert ein Vergabegesetz mit Mindestlöhnen von zehn Euro. SPD und CDU haben zwar bereits verfügt, dass Firmen, die Landesaufträge wollen, Tarifgehälter zahlen müssen. Die Linkspartei will, wie die SPD auch, dass diese Firmen auch Mindestlöhne zahlen müssen. Die CDU bremst.
Man betont Gemeinsamkeiten
Holter ist kein großer Redner, er klingt schnell schroff. Das Sachliche liegt ihm mehr als die Zuspitzung. Beim Thema Lohn ruft er indes, dass sich "die SPD endlich aus den Fesseln der CDU befreien muss". CDU-Mann Caffier kontert, dass die Linkspartei keinen Grund hat, "von Befreiung zu reden". Das ist an diesem Abend der rhetorischen Höhepunkt. Ansonsten betont man lieber Gemeinsamkeiten.
Im Osten hält man nicht viel von den marktschreierischen Abgrenzungsritualen der Parteien im Westen. Das ist ein Erbe der friedlichen Revolution 1989. Doch dieser Wahlkampf ist noch ruhiger als üblich. "Es gibt", so ein SPD-Spitzenpolitiker, "einfach kein polarisierendes Thema." Auch dass die große Koalition regiert, dämpft die Affekte. 2006 lag die Wahlbeteiligung bei fast 60 Prozent. Diesmal könnte es weniger werden.
Schulpolitik als Streitpunkt
Für Streit eignet sich in den Ländern stets die Schulpolitik. SPD und Linkspartei wollen acht Jahre gemeinsames Lernen, die CDU will das nicht. Doch das Muster "links-egalitär versus konservativ-leistungsorientiert" passt nicht so richtig. Sellering meint, man brauche nicht schon wieder eine Schulreform. Der Grüne Jürgen Suhr ist, nach dem Hamburger Schulreform-Debakel, skeptisch. Auch Holter will "Ruhe im Schulsystem". Und Christdemokrat Caffier betont, dass die CDU in Schulfragen ja sehr flexibel geworden ist.
Auffällig ist, dass sich Sellering und Holter, den viele für einen lupenreinen Sozialdemokraten halten, noch am meisten beharken. Holter will mehr öffentlich geförderte Beschäftigung und mehr Lehrer - beides gute sozialdemokratische Ideen. Sellering wehrt ab: Man werde keinesfalls, wie die Linkspartei, neue Schulden machen. Holter kontert, dies sei eine "unredliche Unterstellung". In der Tat hat Rot-Rot 2002 den Schuldenabbau initiiert - nicht die CDU.
Sellering runzelt fast reflexhaft die Stirn, wenn Holter redet. Offenbar will die SPD in Schwerin lieber störungsfrei mit der CDU regieren als mit der Linkspartei darum konkurrieren, wer sozialdemokratischer ist.
Nach zwei Stunden ist die Debatte vorbei, ohne Publikumsfragen. "Typisch", sagt ein grauhaariger Mann, "die Bürger dürfen nichts sagen." "Moment, laufen Sie nicht weg", ruft Ministerpräsident Sellering. Doch da eilt der potenzielle Wähler schon zum Ausgang.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!