Landtagsauflösung in Schleswig-Holstein: "Jämmerlicher Akt"
Der Weg für Neuwahlen ist frei, der Kampf geht erst richtig los. Die SPD spricht von einem "jämmerlichem Akt", die CDU vermutet "Realitätsverlust" beim ehemaligen Koalitionspartner.
KIEL taz | Ziel erreicht: Der schleswig-holsteinische Landtag vertraut Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) nicht mehr. Nur ein Abgeordneter, Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU), antwortete am Donnerstag auf die Vertrauensfrage mit Ja. Alle anderen Christdemokraten, auch Carstensen selbst, enthielten sich. SPD, FDP, Grüne und die Minderheitenvertretung SSW erklärten ihr Misstrauen. Damit ist der Weg zu Neuwahlen in Schleswig-Holstein im September frei.
Vor der Abstimmung gifteten sich die Kontrahenten von CDU und SPD in bekannt scharfer Weise an. Carstensen verteidigte sein Vorgehen: Er sehe seine Richtlinienkompetenz in Gefahr, da die SPD gemeinsame Beschlüsse später in Frage stelle. Dieses "permanente Taktieren" könne er nicht mehr akzeptieren, er sehe "keine Möglichkeit mehr, etwas für das Land zu erreichen".
Die Entscheidung, Neuwahlen zu erzwingen, sei "nicht leichtfertig". Aber gerade in Krisenzeiten brauche eine Regierung die "stetige Unterstützung" beider Koalitionsfraktionen.
Der SPD-Fraktionschef Ralf Stegner trat direkt danach ans Rednerpult - in seiner neuen Rolle als Oppositionsführer: Er hatte am Vortag festgestellt, dass seine Fraktion die Regierung nicht mehr stützt. "Es ist verfassungswidrig, was Sie hier treiben", warf Stegner dem Ministerpräsidenten vor.
Der Koalitionsbruch sei angesichts guter Umfragewerte für die CDU künstlich herbeigeführt, es sei ein "jämmerlicher Grund, jämmerlicher Akt". Er kündigte an, bis zur Wahl eine Reihe von Gesetzen durchbringen zu wollen, etwa ein Verbot der unterirdischen CO2-Speicherung in Schleswig-Holstein.
SPD, Grüne und SSW haben eine Ein-Stimmen-Mehrheit im Parlament. "Sie mögen heute mehr Macht gewonnen haben", sagte Stegner zu Carstensen. "Aber Sie haben Vertrauen nicht nur im Haus, sondern auch im Land verloren."
CDU-Fraktionschef Johann Wadephul griff Stegner scharf an: "Mich enttäuscht Ihre Polemik, ich bin entsetzt von Ihrem Realitätsverlust." FDP, Grüne und SSW sehen Fehler auf beiden Seiten. "Wir wollten schon vor Monaten eine ordentliche Scheidung, dies ist das Gegenteil", erklärte Wolfgang Kubicki (FDP).
Anke Spoorendonk (SSW) kritisierte Carstensens "unpolitische One-Man-Show" und seine "stümperhafte Arbeit". Beiden Koalitionspartnern warf sie vor: "Sie haben so viele Pirouetten gedreht, dass der politische Anstand verloren gegangen ist. Was das Land hier geboten bekommt, ist unterirdisch, die Bürger wenden sich angewidert ab."
Der Wahlkampf solle "hart, aber fair" werden, versprachen sowohl CDU als auch SPD, und demonstrativ reichten sich Stegner und Carstensen nach der Debatte die Hände - als Fotomotiv für die Kamerateams.
Ob eine sachliche Auseinandersetzung möglich ist, bezweifelte der Grünen-Fraktionschef Karl-Martin Hentschel: "Es sind Visionen gefragt, aber die sehe ich bei beiden nicht. Sie sind so sehr ineinander verbissen, dass nur noch über Schuld, nicht über Inhalte gesprochen wird."
Zurzeit zeigen Umfragen eine Mehrheit für Schwarz-Gelb. Allerdings bieten sich im Kieler Landtag, der durch den SSW schon jetzt aus fünf Fraktionen besteht, rechnerisch weitere Möglichkeiten. Fraglich ist, ob die Linkspartei den Einzug schafft. Stegner betonte gestern, alle demokratischen Parteien müssten miteinander koalitionsfähig sein.
Carstensen schloss dagegen ein Bündnis mit einer SPD unter Stegner aus. Die Grünen gehen ohne Koalitionsaussage ins Rennen - Landeschef Robert Habeck könnte sich eine Jamaika-Koalition vorstellen, Fraktionschef Hentschel eher nicht. Kubicki erklärte: "Es wird aus der FDP keine Stimme geben, die Stegner zum Ministerpräsidenten wählt."
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