: Landschaft mit Maulwurfshügeln
■ Der Architekt und Maler Johannes Niemeyer in der Berlinischen Galerie
Der Erfolg als Baumeister blieb Johannes Niemeyer (1889-1980) versagt. Der Architekt, dessen Nachlaß die Berlinische Galerie entstaubt und für eine kleine Ausstellung sorgfältig an die Wand gepinnt hat, wechselte angesichts der Zerstörung unserer Städte durch den Zweiten Weltkrieg sein Metier. Er wurde Maler.
Vollkommen desillusioniert, rührte der aus Halle stammende Niemeyer ab 1944 das Reißbrett nicht mehr an. In der Exklave Steinstücken im Süden Berlins kapselte er sich nach dem Krieg auf seinem Grundstück ab, wurde regelrecht eingemauert und starb 1980, immerhin 91jährig, fast in Vergessenheit. Die Pastelle aus jener Zeit sind sehnsüchtig-kitschige Projektionen einer heilen Welt aus Natur, Landschaft, Garten und Pflanzen, in denen sich der Ort innerer Emigration wildwüchsig spiegelt. Als 1981 der Fotograf Janos Frecot den Garten Niemeyers in einer Serie fotografierte, die gemeinsam mit den Exponaten ausgestellt ist, meinte er noch immer die »Zwiesprache« zwischen Niemeyer und seiner Umgebung dort zu hören. So intensiv muß der Maler sich vergraben haben.
Johannes Niemeyers Arbeiten als Architekt in den 20er und frühen 30er Jahren dagegen sind das genaue Gegenteil träumerischer Abgewandtheit. Seine Häuser sind auf einen funktionalen Gebrauch hin gebaut. Die innere Ordnung der Räume läßt sich an der Fassade ablesen. Doch gehen die Gebäude zu den Experimenten der Avantgarde auf deutliche Distanz. Die Betonung des Baukörpers als plastische Masse folgt bei Niemeyer der Architektursprache der Vormoderne, wo nicht das restlos Durchkonstruierte und Abstrakte zum Ausdruck kommt, sondern das Stoffliche und der spezifische Umgang mit den Materialien wichtig war. Die Stilelemente des neuen Bauens, das flache Dach oder die horizontale Gliederung, die Niemeyer schon früh an seinen Bauten wie selbstverständlich einsetzte, sind deshalb nur Aktualisierungen einer durchgängigen Idee. Das ganze Haus sollte als formbildendes »Ornament«, wie Niemeyer sagte, zu begreifen sein.
Sein eigenes Haus (1924/25) in Halle, das er sich während seiner Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein baute, gleicht deshalb einem Manifest. Aus dem zweigeschossigen Gebäude platzen gewölbte Bauteile und ausladende Balkone, kurvige Linien und versenkte Loggien in einem Konvex- Konkav-Spiel, als hätte sich im Innern ein anthropomorphes Wesen gereckt. Auch das erste Wohn-haus, das Niemeyer 1928/30 in Berlin als freier Architekt in Dahlem baute, ist von einer organisch-gestaffelten Form, die das Haus wie eine Steigerung aus der Natur erscheinen läßt. Architektur bewegt sich als Fortsetzung der Topographie in immer filigranere und differenziertere Linien, die endlich in der Luft transzendieren.
Niemeyers wohl schönster Bau ist das Leipziger Volkshochschulheim. Das 1928 fertiggestellte Gebäude für Lehr-, Seminar- und Schlafräume der Volkshochschulgemeinschaft ist in seiner Form nahezu quadratisch. Doch folgt der rationalen Schärfe an der Fassade zum Teil eine aus dem Innern abgeleitete Chaotik, die dem zweigeschossigen Haus ein komplexes Aussehen gibt und an Hannes Meyers sachliche Gewerkschafts- und Schulbauten erinnert.
Sieht man sich Niemeyers Tonmodelle an, kompakte Skulpturen, die der Realisierung seiner Bauten vorangingen, dann wird das Gestaltungsprinzip eines sich maulwurfartig aus dem Boden erhebenden und zu architektonischer Form verfestigenden Hügels augenfällig. Die Tonlandschaft für die Reihenhaussiedlung in Halle-Kröllwitz (1926) erscheint so als ein expressionistisches Gebirge, das Modell-Landhaus Hammer von 1930 gar als archaisches Gebilde.
Die Eckpunkte in Niemeyers Architekturen sind Zugeständnisse an die Moden und die politischen Strömungen der 30er Jahre. Angesichts der katastrophalen Lage auf dem Wohnungsmarkt verordnete 1931 die Reichsregierung den Bau vorstädtischer Kleinsiedlungen, an deren »Musterschau für Häuser zu festen Preisen« sich 1932 auch Niemeyer mit einem Modellhaus beteiligte. Es entstand ein quadratischer, wohnmobilartiger Kubus für 9.000 Mark, der aus der Trickkiste der klassischen Moderne stammt und wenig gemein hatte mit Niemeyers bisherigen Bauten. Andererseits biederte sich Niemeyer der Architektur der Nazizeit an. Ab 1936 entwarf er Bauten mit den Leitmotiven des Traditionalismus aus Satteldach und Giebel, Sprossenfenster und Holzverkleidung, die den Rückgriff auf »gewachsene« Strukturen symbolisieren sollten.
Nach rund 20jähriger Tätigkeit als freier Architekt wechselte Johannes Niemeyer 1942 in das Büro Konstanty Gutschow nach Hamburg über. Gutschow arbeitete an Entwürfen zur Neugestaltung der Hansestadt nach dem Krieg. Als 1943 die zivilen Bauplanungen zugunsten »kriegswichtiger« Arbeiten beendet werden mußten, verließ Niemeyer das Hamburger Büro wieder in Richtung Berlin. Damit endete Niemeyers Architektenleben. rola
Die Ausstellung ist bis zum 6. Jänner 1991 in der Berlinischen Galerie im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Di-So 10-20 Uhr. Es erscheint ein Katalog.
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