Lana-del-Rey-Konzert in Berlin: Kein handgebatikter Selfmade-Star
Die neue US-Retro-Göttin Lana del Rey besteht in Berlin den Lackmustest und inszeniert sich vor ausverkauftem Haus - ganze 35 Minuten lang.
Irgendwie ist das schon irre. Maximal 35 Minuten hat die kleine rothaarige Person vorne auf der Bühne des Roten Salons gestanden und, zugegeben, sehr schön gesungen. Husch, ist sie dann wieder verschwunden. Ins Körbchen oder in die Garderobe.
Für diese kostbare halbe Stunde vor ausverkauftem Haus haben der Musikredakteur dieser Zeitung und ich über Tage, ja Wochen hinweg viele E-Mails schreiben müssen. Aber dafür wird uns auch einiges geboten, nämlich ein lupenreiner Lehrgang in Sachen Star-Building und Making of a Hype.
Angefangen hat alles auf Youtube. Dort hat Lana del Rey als aufstrebende junge Sängerin aus dem Bundesstaat New York peu à peu ihre Songs hochgeladen: eine raffinierte Mischung aus zuckrigem Girl-Pop und verruchten Balladen, oft unterlegt mit einem dunklen, lässigen HipHop-Beat. Dazu flackert ein wilder History-Channel-Bildermix aus (scheinbar) privaten Super-8-Erinnerungen, Filmdokumenten der 60er Jahre und Hollywoodglamour, eine melancholisch-patriotische Zeitreise durch das letzte amerikanische Jahrhundert.
Sorgfältig gelegte Wasserwelle
Zwischendurch schlägt auch immer mal wieder Lana del Rey die Augen auf, schürzt die leicht überspritzte Oberlippe und blinzelt lasziv hinter der sorgfältig gelegten Wasserwelle hervor. Die ganze Frau ist ein wandelndes Zitat - von Rita Hayworth über Lolita bis zu Courtney Love - und die Fleisch gewordene Illustration ihrer eigenen Songzeile: "Don't you like the bad girls, honey?"
Aber natürlich, Lektion eins, ist Lana del Rey alles andere als ein handgebatikter Selfmade-Star, auch wenn die heute 24-Jährige, aus wohlhabendem Unternehmerhaus Stammende schon mit 17 und noch unter ihrem bürgerlichen Namen Lizzy Grant in kleinen New Yorker Clubs auftrat, ihre ersten Videos selbst zusammenschnipselte, später Philosophie studierte und ihr erstes (aus rechtlichen Gründen wieder zurückgezogenes) Album herausbrachte.
Mittlerweile steuern potente Produzenten wie Eg White und Guy Chambers das Projekt "Lana del Rey", und fast scheint es, als hätten sie dafür Simon Reynolds neues Buch "Retromania" als Schnittmuster benutzt. Nur haben sie die durchaus kulturkritisch gemeinte Gegenwartsanalyse des britischen Musikjournalisten, der Pop fast schon am Ende der eigenen Geschichte wähnt, strikt ins Positive gewendet. "I still believe the future is out there", hofft Reynolds am Ende seines Befunds. Und ist sie nicht bittersüßeste Zukunftsmusik, die Poparchivplünderungsorgie der Lana del Rey?
Limitierte CDs mit Wasserzeichen
Den Onlinetest auf Geschmacksresonanz, Lektion eins, hat sie jedenfalls locker bestanden: Über sechs Millionen Mal wurde ihr bislang größter Hit "Video Games" seit August angeklickt. Dabei kursieren bislang nur limitierte CDs mit Wasserzeichen, ihr Debütalbum ist für Januar kommenden Jahres angekündigt.
Lektion drei: Bis dahin wird die Gier aufs Produkt durch Verknappung angeheizt. In Berlin etwa haben ihr Label Universal und der Konzertveranstalter eine denkbar kleine Konzertbühne ausgesucht. Der Rote Salon der Volksbühne ist im Nu ausverkauft - und das bei einem Showcase, das doch hauptsächlich der medialen Lancierung dient.
Es grenzt also an ein Wunder, dass ich mich am Montagabend nun doch vor der Bühne drängeln darf, auf die gleich die Zukunft des Pop treten wird. Mit den Waffen der Vergangenheit. Lana del Reys Ankunft wird mit Bernard Herrmanns aufgekratztem Soundtrack zu "Psycho" angekündigt, doch so viel Gefahr und Neurose sind dann doch nicht in Verzug. Auch wenn zwei ihrer vier Bandmitglieder grimmige Gangsta-Coolness zur Schau stellen, macht Lady Lana im kleinen Weißen das wieder wett.
Sie ruft mädchenhaft "Hello", als grüße sie über den Nachbarzaun. Und dann schnurrt schon das Programm ab, acht Songs, keiner mehr, satter und saftiger als im Netz. Del Reys Stimme hat vor allem in den tieferen Lagen enorme Kraft. Sie drückt den musikalisch ziemlich heterogenen Tracks einen Stempel auf, verbindet das jazzige "Million Dollar Man" mit dem hiphoppigen "You Can Be the Boss" und "Blue Jeans", das sich an Chris Isaaks "Wicked Game" ankuschelt.
Beschwörung gloreicher Zeiten
Dazu flackern wieder JFK und Elvis, Stars and Stripes und kalifornische Palmen, der Sunset Boulevard und die sepiafarbenen Szenen einer Vorstadtjugend über die beiden weißen Ballons, die als Projektionsflächen die Bühne flankieren.
Der American Dream scheint vorerst ausgeträumt, in der rezessionsgeschüttelten Wirklichkeit und auch bei Lana del Rey, die ihm in ihren Texten ("Born To Die") und auf der Videospur die schönsten patriotischen Grabsteine setzt. Doch del Reys melancholische Beschwörung glorreicher Zeiten ist so makellos und rundum gepolstert, wie man sie nur inszenieren kann, wenn man eben an das Gegenteil glaubt: an eine ruhmreiche Zukunft. Auch wenn die immer kürzer wird.
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