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Lampedusa-FlüchtlingeFestung Hamburg steht

300 Westafrikaner, die vor dem libyschen Bürgerkrieg geflohen waren, kämpfen in Hamburg um ein Bleiberecht. Um sie herum ist eine breite Unterstützerbewegung entstanden.

Kampf um die Aufenthaltserlaubnis: Flüchtlinge und ihre Unterstützer demonstrieren in Hamburg. Bild: dpa

HAMBURG taz | Das Schicksal der sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge erschüttert Hamburg. Das ist durchaus eine Nachricht. Denn normalerweise kräht kein Hahn nach dem alltäglichen Flüchtlingselend. Da vollziehen Abschiebetrupps „geltendes Recht“, bugsieren Menschen unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Armut und Elend, manchmal direkt in die Hände ihrer Häscher. Es bleiben Einzelfälle, auch wenn es verdammt viele sind.

Warum diesmal alles ganz anders ist? Das liegt beileibe nicht nur an diesem Zufall, dass die westafrikanischen Flüchtlinge, die über Libyen nach Italien kamen, sich nach jenem Nadelöhr der europäischen Grenzsicherung benannten, durch das sie gekommen waren: der vor Tunesiens Küste gelegenen, italienischen Insel Lampedusa.

Keine zwei Wochen ist es her, dass sie einmal mehr traurige Berühmtheit erlangte, als Hunderte Flüchtlinge direkt vor ihrer Hafenmole ertranken. Groß war der Aufschrei in der europäischen Politik, einen Moment lang schien die Festung Europa zu wackeln.

Aber die Hamburger SPD-Regierung hat sich schnell gefasst: Seit einer Woche macht sie mit Razzien und Straßenkontrollen klar, dass es sich nicht lohnen soll, den Fluten des Mittelmeers entronnen zu sein. Vorher gab es ein stabiles Patt:

Hier der Hamburger Senat, der den Flüchtlingen gebetsmühlenartig sagte: Meldet euch bei den Behörden mit Namen, damit wir individuell prüfen können, ob es die Chance auf ein Aufenthaltsrecht gibt. Dort die Afrikaner, die sagten: Macht den Weg frei für eine Gruppenlösung, sonst haben wir kein Vertrauen, dass ihr unsere Identitäten nicht ausschließlich haben wollt, um uns abzuschieben. Über Monate bewegte sich nichts.

Und doch bewegte sich ganz viel: In kurzer Zeit entstand eine Unterstützerszene, die weit über die üblichen paar unentwegten Flüchtlingsaktivisten hinausgeht. Als wären es die Achtzigerjahre, öffnete die St.-Pauli-Gemeinde ihre Tür und beherbergt seit Monaten 80 der Flüchtlinge in ihrer Kirche.

Frauen aus dem Stadtteil kochen ihnen Suppe, ein Kiez-Türsteher schiebt Nachtwachen. Fans des FC St. Pauli spielen mit den Afrikanern Fußball, Schüler bieten ihre Turnhalle als Schlaflager an. Die Altonaer CDU fordert eine humanitäre Lösung für die Männer. Polizisten bekommen plötzlich „Bauchschmerzen“, wenn sie Afrikaner kontrollieren sollen.

Und sogar die bis aufs Blut verfeindeten Lager in der radikalen Linken Hamburgs, Antiimps und Antideutsche, arbeiten für die Lampedusa-Flüchtlinge zähneknirschend zusammen.

Eine derartige Welle der Solidarität mit Flüchtlingen hat Hamburg seit Jahrzehnten nicht erlebt. Sie hat viel damit zu tun, dass die Afrikaner sich als Gruppe organisiert haben. Sie sind so fassbar geworden, ohne dass Unterstützung für sie gleich in eine individuelle Verpflichtung münden würde.

Die rund 300 Lampedusa-Männer haben ihre Heimatländer verlassen, um ihr Glück in Libyen zu suchen – ein hartes Pflaster für Schwarzafrikaner. Dann kam der Umsturz und sie gerieten zwischen die Fronten. Sie sind also doppelt geflohen – und sollen nun erneut vertrieben werden, zurück nach Italien, das sie schon einmal nach Deutschland weitergeschickt hatte.

In Hamburg treten sie nicht als Bittsteller auf, sondern fordern selbstbewusst ein Bleiberecht. Wenn sie ihre Flucht aus Libyen als Folge der Nato-Bombardements darstellen, spitzen sie damit nur zu, dass Europa aus ihrer Sicht Verantwortung für die Lage in ihren Heimatländern ebenso wie für die in Libyen trägt und die Folgen mittragen muss.

Eine Position, die in der Hamburger Sozialdemokratie durchaus Sympathien findet. Wenn die allein regierende SPD sich dennoch verweigert, dann vor allem, weil sie keinen Präzedenzfall schaffen will. Sie fürchtet, dass Flüchtlinge aus ganz Europa sich nach Hamburg aufmachten, gäbe es für die Lampedusa-Gruppe eine Sonderregelung.

Erstaunlich, wie ungeschickt sich der Senat anstellt: Seine Fahndungsoffensive nach den Lampedusa-Männern begann auf dem Höhepunkt der europäischen Empörung darüber, wie Italien Flüchtlinge vor Lampedusa ertrinken lässt. Eine Gruppenlösung verweigert die Innenbehörde mit dem Verweis auf den Bundesinnenminister, der sicher nicht zustimmen würde – angefragt hat sie aber offenbar nie.

Und zuletzt verstieg sich Innensenator Michael Neumann auf die Frage, ob seine Polizei nach „rassischen“ Kriterien kontrolliere, zu dem achselzuckenden Konter, in den afrikanischen Herkunftsländern der Flüchtlinge gebe es nun mal wenige „Menschen kaukasischen Erscheinungsbildes“.

Auch wenn Neumann das von seiner Homepage später löschte – dieser zur Schau gestellte Zynismus ist nicht gerade dazu angetan, die Lage in der Stadt zu beruhigen. Seit Tagen ist das Hamburger Schanzenviertel allabendlich in Blaulicht getaucht, seit bei einer der Großdemos für die Lampedusa-Flüchtlinge gezielt Polizisten angegriffen worden waren.

Es sieht fast aus, als wäre das Neumanns Kalkül: Durch Eskalation die Unterstützer der Flüchtlinge in die kriminelle Ecke zu rücken – und so das bürgerliche Segment unter ihnen zu verschrecken.  JAN KAHLCKE

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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • B
    @Blacky

    "15jährigen Klassenkameradin, die einen Asylstatus hatte"

     

    Hatte sie nicht.

  • S
    Seb

    Hört doch mal auf den mit dem Unsinn.

     

    Die Unterstützung kommt von ganz, ganz links, die CDU spielt mit weil Opposition. Das klappt natürlich auf St. Pauli, wo der Durchschnittsbürger irgendwo zwischen Antifa und Linkspartei herumtorkelt.

    Von einer Mehrheit in der Bevölkerung der Hansestadt oder gar Deutschlands kann keine Rede sein.

    Wenn Libyen zerfiel, warum gingen die Männer nicht in ihre Heimatländer zurück? Warum ausgerechnet nach Europa, das doch angeblich für alle Übel der Welt verantwortlich ist? Warum in diesen Sündenpfuhl, der ach so böse ist? Das ergibt alles wenig Sinn, ist also wohl eher nur auswendig gelernte Rhetorik.

    Bei den Hungerstreikenden in München wurde zuletzt klar, dass in Wirklichkeit eine linke Politsekte aus Berlin die Fäden zieht und die Menschen steuert wie Puppenspieler ihre Puppen. Mir scheint, das ist in Hamburg ähnlich.

    • R
      Ruhender
      @Seb:

      Oha, und wie sehen dann die Mehrheiten in Deutschland aus? Außerhalb Ihrer NPD-Treffen wohl nicht ganz so, wie Sie es sich vorstellen.

  • S
    Steffi

    Oh mein Kommentar ist nicht veröffentlicht.



    Wen wunderts denn? Kritische Berichte zu der unsäglicheen Situation sind der taz nicht willkommen. Zensur behält das Wort. Demokratie gleich 0.

     

    RED.: Hallo Streffi - im Backend steht kein (unveröffentlichter oder gelöschter) Kommentar von Dir. Wenn Du nichts schreibst, bitte nicht über Zensur klagen. Danke.

    • S
      Steffi
      @Steffi:

      Oh pardon, ich hab mich vertan.

      Kommt nicht wieder vor.

  • R
    ruhender

    Solidarität ist hier gefordert. Es geht um Menschenleben und Menschenrechte - auf beiden trampelt die EU herum wie ein Elefant auf dem Vogelnest.

  • D
    D.J.

    Früher war es Rassismus, wenn man die eigene "Rasse" für überlegen hielt und für ethnische "Reinheit des eigenen Landes eintrat. Heute ist es (jedenfalls für Schlichtlinke) Rassimus, wenn man für reguläre Einwanderung eintritt.

     

    "Die rund 300 Lampedusa-Männer haben ihre Heimatländer verlassen, um ihr Glück in Libyen zu suchen – ein hartes Pflaster für Schwarzafrikaner. Dann kam der Umsturz und sie gerieten zwischen die Fronten. Sie sind also doppelt geflohen."

     

    Wieso war die Arbeitssuche in Libyen eine "Flucht"? Es handelte sich um ganz gewöhnliche Arbeitsmigration.

     

    Eine Lösung könnte eine Ausnahmegenehmigung aufgrund der besonderen Umstände in Libyen sein. Das ganze funktioniert natürlich nur mit der klaren Ansage, dass fortan keine irreguläre Aufnahme mehr erfolgt.

  • NF
    No Fight

    " Menschen begreifen, dass sich ihre Situation nicht verbessert, wenn sich die anderer verschlechtert. Solidarität ist erlebbar, machbar und wunderbar!

  • B
    Blacky

    "Frauen kochen Suppe." "Sie fordern selbstbewusst ihr Bleiberecht."

    Sehr geehrter Autor, mögen Sie es, wenn es die Frauen sind, die die Suppenküche betreiben? Zweitens: Von Bleiberecht, das sie so selbstbewusst fordern, keine Spur. Es gibt ja nicht einmal eine Voraussetzung, auf dem sich dieses Bleiberecht begründet. Und selbstbewusst sind sie schon lange nicht mehr, wie der Pfarrer sagt, sondern sie sehen selbst, dass es schlecht steht. Natürlich können die Autonomen, die im Grunde alles unterstützen, was nach ANTI riecht, eine Festung Hamburg herstellen (eine Festung Europa lehnen sie übrigens ab), aber wie lange wird das gehen? Wie sieht diese Festung aus, wenn es ein harter Winter wird? Keine Container, kein Dach über dem Kopf - ob das den Afrikanern lieber ist als endlich eine Prüfung ihrer Situation?

    Wenn SchülerInnen in Frankreich gegen die Ausweisung ihrer 15jährigen Klassenkameradin, die einen Asylstatus hatte, protestieren, kann ich das verstehen, und das finde ich gut. Aber das etwas komplett anderes als das was sich auf typisch autonomdeutsch in Hamburg abspielt.

  • B
    Berti

    Was für ein hanebüchene journalistische EntgleisungHerr Kahlcke! Die Flüchtlinge sind illegal in Hamburg und die Alternative ist nicht vor Lampedusa ertrinken lassen, sondern zurück nach Italien in ein geordnetes Verteilungsverfahren - fertig! Alles andere ist politisch motivierte Stimmungsmache auf dem Rücken der Flüchtlinge.