Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg: Kein Ende des Konflikts in Sicht
Die Lampedusa-Flüchtlinge werden ihre Daten erst bei rechtsverbindlichen Vereinbarungen preisgeben. Tausende demonstrierten am Wochenende.
HAMBURG taz | Die Flüchtlinge der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ werden sich auf das „Angebot“ von SPD-Innensenator Michael Neumann nicht einlassen, ohne dass in direkten Verhandlungen mit dem SPD-Senat Details „rechtsverbindlich“ geklärt werden. Neumann hatte in Gesprächen mit Bischöfin Kirsten Fehrs versprochen, er garantiere eine staatliche Duldung, selbst für den Verlauf des eventuell langwierigen Widerspruchsverfahrens, wenn die 300 Männer ihre Identität preisgeben und sich einem üblichem Asylverfahren mit Einzelfallprüfung unterziehen.
Denn ein solches Versprechen Neumanns könnte sich bereits am 1. Dezember in Luft auflösen, wenn der neue Paragraf 34 Aufenthaltsgesetz in Kraft tritt. Dann besteht die Möglichkeit, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge alle Kompetenzen an sich ziehen kann. „Selbst in der Ausländerbehörde weiß niemand genau, welche konkreten Auswirkungen die Gesetzesänderung in der Realität haben wird“, sagt eine Expertin. „Das muss noch eruiert werden.“
Aber selbst wenn die Gesetzesänderung keine gravierenden Konsequenzen haben würde, begeben sich die Flüchtlinge, die als Wanderarbeiter in Libyen tätig waren und nach ihrer Flucht vor den Nato-Bombardements nach Lampedusa in Italien ein Asylverfahren durchlaufen haben, auf dünnes Eis. Denn nach dem Antrag auf ein Asylverfahren müssten die Männer ihre gültigen italienischen EU-Pässe abgeben und bekommen stattdessen eine Duldung.
In dem Asylverfahren werden nur Fluchtgründe wegen politischer oder ethnischer Verfolgung in ihren westafrikanischen Heimatländern geprüft. Der Ausgang ist also völlig offen – eher mit der Tendenz der Abschiebung zurück nach Afrika. Eine „Rückführung“ nach Italien käme dann nicht mehr in Betracht. Deshalb verlangt die Lampedusa-Gruppe, die am Wochenende ihr weiteres Vorgehen diskutierte, rechtsverbindliche Vereinbarungen und bekräftigte nochmal ihre Forderung nach einer Gruppenlösung aus humanitären Gründen.
Unterdessen dauern die Solidaritätsaktionen an: Nach dem Spiel des FC St. Pauli demonstrierten am Freitagabend 8.000 bis 10.000 Menschen gegen die Flüchtlingspolitik des Hamburger Senats. Zu dem weitestgehend friedlichen Protestmatsch vom Stadion bis zur St. Pauli Kirche hatten neben dem FC St. Pauli rund 110 Vereine, Fan-Organisationen und Stadtteilinitiativen aufgerufen. Die Polizei hatte nach eigenen Angaben mit weit weniger Demonstranten gerechnet, sie war von 1.000 Menschen ausgegangen.
Kurz zuvor hatte eine handvoll Autonomer das Gerüst am Schornstein der historischen Hufschmiede in der St. Pauli Bleicherstraße besetzt und ein Transparent „Kein Mensch ist illegal“ angebracht. Dort versammelten sich nach der Demonstration einige Unterstützer.
Am Samstag demonstrierten rund 700 Menschen „gegen Polizeiwillkür und rassistischen Kontrollen“, begleitet von einem Großaufgebot an Polizei. Nach der Demonstration zogen mehrere hundert Menschen zur Schornsteinbesetzung. Unter dem Einsatz von Pfefferspray und den Drohgebärden eines Wasserwerfers sowie eines Räumpanzers wurde die Straße geräumt, wenig später zog sich die Polizei aber vorerst zurück. Die Besetzer brachen die Aktion am Sonntagmorgen unerkannt ab.
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