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Lafontaines halber Rückzieher

■ Formelkompromisse für die Öffentlichkeit: „Niemand darf nach der Arbeitszeitverkürzung weniger haben als vorher“ / Vogel: Die vielen Verletzungen können nicht an einem Tag geheilt werden

Bonn (ap/taz) - Die Führung von SPD und Gewerkschaften haben in dem fünfstündigen Spitzengespräch über die Thesen des stellvertretenden Parteivorsitzenden Lafontaine zur Arbeitszeitverkürzung gegenseitige „Mißverständnisse“ offenbar ausgeräumt und Übereinstimmung betont. Vor Journalisten in Bonn erklärte der DGB–Vorsitzende Breit im Anschluß an die Sitzung wörtlich: „Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich ist übereinstimmende Meinung aller Beteiligten.“ SPD–Chef Hans Jochen Vogel präzisierte, es gehe darum, daß kein Arbeitnehmer nach einer Verkürzung der Arbeitszeit weniger Lohn haben dürfe als vorher: „Das ist die Definition.“ Das Hauptmißverständnis habe darin bestanden, so DGB–Chef Breit, daß Lafontaine anfangs „von einem Lohnausgleich nach Einkommen gestaffelt“ gesprochen habe. Vogel erklärte, die Begleitumstände der öffentlichen Debatte hätten zu erheblichem Ärger geführt. Das gelte für den Zeitpunkt sowie für den Eindruck, es gehe um Lohnverzicht, und insbesondere darum, daß den Gewerkschaften eine Politik der Umverteilung vorgeworfen worden sei. In der letzten Zeit habe es auch „Verletzungen“ gegeben, die „nicht innerhalb eines Tages oder eines Gesprächs geheilt werden können“. Auf Fragen präzisierte Ernst Breit auch die gemeinsame Definition einer Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Diese könne auch eine „Nullrunde“ bei Gehaltstarifverhandlungen bedeuten. Das könne „theoretisch“ dann der Fall sein, wenn der Produktionszuwachs voll für eine Verkürzung der Arbeitszeit verwendet werde. IGB Chemie–Chef Rappe sagte gestern, jetzt sei es „gemeinsame Position“, daß es „auch bei Arbeitszeitverkürzungen Lohnausgleich geben muß“. Die gefundenen gemeinsamen Formulierungen deuten darauf hin, daß die gerade abgeschlossenen und bis in die neunziger Jahre hinein geltenden Tarifverträge eine drastische Arbeitsumverteilung zugunsten der Arbeitslosen bis ins nächste Jahrzehnt hinein ausschließen. Lafontaine hat inzwischen gegenüber dem Saarländischen Rundfunk in einem Interview betont, das Gespräch habe gezeigt, „daß man in den nächsten Monaten noch ernsthafter darüber diskutieren muß, wie die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen ist“. Die Arbeitslosigkeit sei aber „nicht allein über die Tarifpolitik zu bekämpfen“. Lafontaine meinte weiter, daß bei dem Spitzengespräch keiner einer „Nullrunde“ insbesondere bei Beziehern hoher Gehälter widersprochen habe - zwar nicht alle Jahre, aber doch auf ein Jahr bezogen.

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