Lärmatlas: Lauter Verkehr im Schlafzimmer
Hunderttausende leiden nachts unter gesundheitsgefährdendem Lärm. Der Senat hat die Belastung erstmals dokumentiert.
Über 420.000 BerlinerInnen sind Nacht für Nacht von gesundheitsgefährdendem Lärm über 55 Dezibel (dB) betroffen. Das ergibt sich aus den gestern vom Senat vorgestellten Lärmkarten. "Vor allem die Menschen, die an Hauptverkehrsstraßen leben, sind von Lärm betroffen", sagte Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke). "Lärm ist ein Gesundheitsrisiko - Studien belegen, dass Menschen, die dauerhaft erhöhten Lärmbelastungen von über 70 Dezibel tagsüber und 60 Dezibel nachts ausgesetzt sind, signifikant häufiger unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden."
Die Karten zeigen, dass der Straßenverkehr die Lärmquelle Nummer 1 in Berlin ist. Die Zahl von 55 dB ist dabei ein von Wissenschaftlern ermittelter sogenannter Vorsorgewert, unter dem nicht mit Gesundheitsschäden zu rechnen ist. Zum Vergleich: 55 dB entsprechen dem Geräuschpegel einer Unterhaltung, die neben dem Schlafenden stattfindet.
Neben Autos, Motorrädern und Lkws sind auch Eisenbahn- und U-Bahn-Verkehr häufige Störquellen; der Fluglärm spielt aus Verwaltungssicht eine untergeordnete Rolle: Von ihm sind 12.600 Berliner betroffen. Die Erhebung berücksichtigt allerdings nur den Flughafen Tegel, da Schönefeld in Brandenburg liegt und Tempelhof aufgrund seiner Größe nicht unter die Vorgaben der entsprechenden EU-Richtlinie fällt. Die EU hatte 2002 angeordnet, dass alle Mitgliedsstaaten Lärmkarten erstellen und anschließend Gegenmaßnahmen entwickeln müssen.
In Großstädten wie Berlin ist das Problem besonders drängend: Fast 60.000 Berliner müssen bei offenem Fenster gar bei einem Geräuschpegel von über 65 dB schlafen. Das ist so laut, als stünde das eigene Bett in einer überfüllten Betriebskantine. Und 1.800 ruhen bei über 70 dB - in ihrem Schlafzimmer wird sozusagen Rasen gemäht. Tagsüber liegen alle Werte deutlich höher. Die meisten belasteten Straßen liegen im Osten der Stadt. Das liegt u. a. an den nur im Osten vorhandenen Straßenbahnen, die viel Lärm verursachen.
Bis Oktober haben die Länder Zeit, ihre Lärmkarten an das Bundesgesundheitsamt weiterzugegeben, dann gehen sie nach Brüssel. Erst wenn die Ergebnisse aller Mitgliedsstaaten dort vorliegen, wird sich die Kommission wieder mit einem Grenzwert für die Lärmbelastung befassen - bisher gibt es keinen. "Unsere deutschen Standards konnten wir nicht auf die EU-Ebene übertragen", sagt Manfred Breitenkamp, Leiter der Abteilung Umweltpolitik in der Senatsverwaltung. "Die Vorstellungen der Finnen und der Italiener von dem, was Lärm bedeutet, lagen einfach zu weit auseinander." Bis Sommer 2008 müssen auch Lärmminderungspläne fertig sein. Dabei kann Berlin auf Erfahrungen aus Modellprojekten zurückgreifen, die seit 2001 in einzelnen Stadtteilen durchgeführt werden, etwa in Pankow und Mitte.
Daher sind schon einige Maßnahmen in Planung. Gesundheitssenatorin Lompscher will vor allem geräuscharme Fortbewegungsmöglichkeiten fördern. Die öffentlichen Verkehrsmittel sollen attraktiver, laute Straßenbahnen immer moderner und damit leiser werden. Die Senatorin will mehr Fahrradwege bauen und dafür werben, dass die Berliner kurze Strecken öfter mal zu Fuß zurücklegen. Dem Verkehrslärm will sie durch Tempo-30-Zonen und Umleitungen auf weniger bewohnte Straßen zu Leibe rücken. Parkraumbewirtschaftung steht ebenfalls auf der Wunschliste der Senatorin, weil sich dadurch der Verkehr um bis zu 30 Prozent verringern lasse.
Doch selbst mit all diesen Maßnahmen würde Berlin keine Insel der Ruhe werden, so die Einschätzung des Leiters des Referats Immissionsschutz der Senatsverwaltung, Bernd Lehming: "In Gebieten mit einer Lärmbelastung von über 65 Dezibel 55 Dezibel zu erreichen ist unrealistisch. Aber schon 5 Dezibel machen eine Menge aus."
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