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■ Länder und Kommunen verschieben den Anspruch der Familien auf einen Kindergartenplatz bis 1999Warum dann die Eile beim 218?

Im Osten der Republik ist die Geburtenentwicklung seit dem Mauerfall rückläufig. Und dieser Trend wird, so ergab eine Studie des Leipziger Instituts für Marktforschung, anhalten. Um Kinder in die Welt zu setzen, müsse erst einmal die gesamte Gesellschaft kinderfreundlicher werden, lautete das einhellige Plädoyer der befragten Ostdeutschen. Einen Ansatz hierzu bot das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Denn dieses Gesetzespaket, das ursprünglich die neue Regelung des Abtreibungsrechts flankierte, schreibt den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem 1.1.1996 fest. Einhellig beschlossen wurde es 1992 von Bundestag und Bundesrat. Auf diese Weise wollte man endlich einen Schlußstrich unter das leidige Kapitel „218“ ziehen.

Doch das Thema ist noch längst nicht aus der Welt. Der 218 steht weiterhin auf der Bonner Tagesordnung. Und der Anspruch auf den Kita-Platz ist zwar Gesetz, doch eines auf wackeligen Füßen.

Mit einer Bundesratsinitiative wollen die Länder – allen voran die SPD-regierten Flächenstaaten – den Rechtsanspruch nun auf das Jahr 1999 verschieben. Zwar können die ostdeutschen Länder allein aufgrund der infrastrukturellen Übernahme ihres realsozialistischen Erbes genügend Kindergartenplätze zur Verfügung stellen. Zwar geben auch kleine Länder wie das Saarland und Rheinland-Pfalz an, sie schafften es, den Anspruch bis 1996 umzusetzen. Flächenstaaten wie Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen sehen sich jedoch für das nächste Jahr außerstande, allen Kindern ab dem dritten Lebensjahr den Kita-Platz zu garantieren. Daß es so kommen würde, hätte allen schon 1992 klar sein können. Schon im Vorfeld hatten Städte und Kommunen gejammert. Ihnen mangelt es an Geld, an Räumlichkeiten, an Personal. 20 Milliarden Mark fehlen da im Vorfeld. Weitere vier Milliarden fallen jährlich an. Und die lassen sich, auch wenn man sich auf kommunaler und Landesebene bemüht, heutzutage nicht aus dem Ärmel schütteln.

Daß Bund und Länder 1992 davon ausgingen, ein Gesetz mitsamt Rechtsanspruch ließe sich holterdipolter realisieren, war angesichts der allgemeinen Finanzlage schon naiv genug. Daß die Regierung Kohl sich selbst aus jeglicher Verantwortung für eine kinderfreundlichere Gesellschaft herausstiehlt und die Finanzlast auf Länder und Kommunen abschiebt, bringt den Rechtsanspruch nun erst einmal zu Fall.

Zu fragen bleibt eigentlich nur, warum sich Regierungskoalition und Opposition derzeit so unter Zeitdruck setzen, um endlich die Novellierung des Abtreibungsrechts durchzuboxen. Verschieben wir eine Neuregelung des § 218 doch einfach auf das Jahr 1999. Immerhin hätten Wählerinnen und Wähler zuvor noch einmal die Chance, herrschende Mehrheitsverhältnisse umzustürzen. Eine rot-grüne Regierungskoalition könnte anschließend in aller Ruhe den § 218 zur vollen Zufriedenheit novellieren. Karin Flothmann

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