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Länder sollen Freibrief für Duales System erteilen

■ DSD fordert schon jetzt Freistellung/ Die Länder müssen prüfen, ob die gelben Tonnen flächendeckend zu finden sind und ob genug Müll wiederverwertet wird

Berlin (taz) — Gedrängel wie beim Sommerschlußverkauf. Vollbepackte KundInnen stürmen durch die Tür. Sie öffnen ihre Taschen und Tüten, kippen Pappkartons und O-Saft-Flaschen, Joghurtbecher und PVC-Folien in gelbe Tonnen, die schon nach Minuten überquellen. „Wir sind doch keine Müllkippe“, schreit der Geschäftsführer verzweifelt, aber die KundInnen lächeln nur und halten ihm die Verpackungsverordnung vor die Nase. Der Kalender zeigt den 1. März 1993.

Daß dieser Alptraum vieler HändlerInnen Realität wird, versuchen die Grünen-Punkt-ManagerInnen vom „Dualen System Deutschland“ (DSD) zu verhindern. Bis zum März haben sie Zeit, ein flächendeckendes System nachzuweisen, „das eine regelmäßige Erfassung gebrauchter Verkaufsverpackungen beim Endverbraucher gewährleistet“ — ansonsten droht den Läden die Rücknahmepflicht. Außerdem müssen bestimmte Quoten für die Erfassung, Sortierung und tatsächlicher Wiederverwertung der Verpackungen erfüllt werden können.

Schon Anfang September beantragte das DSD bei allen 16 Landesumweltministern die Freistellung des Handels von der Rücknahmepflicht. Seit Monaten reisen die Grüner-Punkt-MitarbeiterInnen durch die Lande und versuchen, mit den Kommunen Verträge über den Aufbau des Entsorgungssystems abzuschließen. Ein durchschnittlicher Landkreis mit 100.000 Einwohnern bekommt für die Sammelei etwa 2,5 Millionen Mark, hat der grüne Landesverband Bayerns herausgefunden. Der Löwenanteil der Einnahmen durch den Grünen Punkt aber geht für Werbung und Zahlungen an die Verwerter drauf.

Sechs Gebietskörperschaften in Bayern, darunter die beiden größten Städte München und Nürnberg, haben sich gegen eine Zusammenarbeit mit dem DSD ausgesprochen, weil das System die Verpackungsflut nicht einschränkt, sondern auf Kosten der Verbraucher aufrechterhält. Das DSD versucht jetzt, dort private Entsorger zu verpflichten, um dennoch seinen Verpflichtungen nachkommen zu können. Keine leichte Aufgabe: Die Stadträte können die Aufstellung von Containern und Tonnen auf öffentlichem Gelände verbieten.

Entscheidend wird am Ende jedoch sein, ob CSU-Umweltminister Gauweiler dem DSD den Freibrief „flächendeckend“ erteilt, auch ohne die rund 2,2 Millionen Einwohner aus den boykottierenden Gebieten. Dann nützt der Widerstand der renitenten Kommunen nichts. Das Recht, den Müll zum Händler zurückzutragen und damit Druck für mehr Mehrwegprodukte auszuüben, verfiele.

Nicht nur die gelbe Tonne muß überall stehen, das DSD muß für die Freistellung auch glaubhaft machen, daß ab Januar Glas zu 30, Weißblech zu 20 und Aluminium, Pappe, Papier und Kunststoff zu jeweils 15 Prozent erfaßt werden können. Von dem, was in den Containern landet, muß dann ein Anteil von 70 bis 30 Prozent, je nach Stoffgruppe, recycelt werden.

Bei Glas und Papier werden die Quoten leicht zu erreichen sein, weil das DSD hier bestehende Systeme übernehmen kann. Bei den Kunststoffen gibt es hingegen Probleme mit der tatsächlichen Wiederverwertung. Deshalb hat das DSD schon jetzt mit Bundesumweltminister Töpfer die Zwischenlagerung des Mülls vereinbart.

Niedersachsens Regierung hat bereits angekündigt, daß sie die Angaben des DSD sehr streng prüfen will; man ist sich zum Beispiel noch nicht klar, wann die Bedingung „flächendeckend“ als erfüllt gelten soll. Ein Rechtsstreit wird nicht ausgeschlossen. Schon im Frühjahr hatte das Umweltministerium in Hannover mit dem DSD über eine Rahmenvereinbarung verhandelt, war aber zu keinem Ergebnis gekommen. Die DSD- Firmen wollten weder Geld für Öffentlichkeitsarbeit zur Abfallvermeidung garantieren, noch zusagen, daß auch Verpackungen ohne grünen Punkt entsorgt werden — das aber hatte Ministerin Griefahn als Bedingung gestellt. Jetzt hat sie angekündigt, daß nur die Verträge zwischen DSD und Kommunen für die Feststellung der Flächendeckung gezählt werden sollen, die diese Forderungen erfüllen. Niedersachsens HändlerInnen können nicht mehr ganz ruhig schlummern. Annette Jensen

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