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Ladenschluß

■ betr.: „Draußen nur Kännchen“, taz vom 21.5. 96, LeserInnenreak tionen, taz vom 30.5. 96

Wenn Müllwerker mit dem Mülleimerdeckel klappern, Straßenbahnen im Depot bleiben – zur Hauptverkehrszeit, versteht sich –, wenn die IG Metall mobil macht: sie können sich der Sympathien der taz (auch der taz-light von 1996) sicher sein. Wenn aber die Angehörigen einer der am miserabelsten bezahlten Berufsgruppen, noch dazu vor allem Frauen, VerkäuferInnen, BuchhändlerInnen sich dagegen wehren, daß ihre Arbeitsbedingungen sich noch weiter verschlechtern: dann schaut's natürlich ganz anders aus. Den in den letzten Monaten inflationär unters staunende Volk gebrachten News Week-Artikel, in dem das Jobwunderland USA gepriesen wird, lesen zu müssen, das macht verdrossen. Seid Ihr wirklich und wahrhaftig soweit, Eure Leserschaft im Konsumtrottellager rekrutieren zu müssen?

Wenn Krankenpfleger und -schwestern, wenn Ärzte und AltenpflegerInnen die Grundversorgung der ihnen anvertrauten Menschen rund um die Uhr sichern müssen, ist das eine Sache. Wenn aber die Kollegen und Kolleginnen im Einzelhandel keinen VHS-Kurs mehr besuchen können, auf Theaterabos verzichten, soziale Kontakte hintan stellen müssen, weil Shopping zur Abendzeit so absolut affengeil ist, so ist das, verdammt noch mal, eine andere Sache. Daß die Aufhebung des Ladenschlußgesetzes mit Sicherheit den Großen nützt, den Mittleren schadet und die Kleinen zu gnadenloser Selbstausbeutung treibt – daran zweifelt im Ernst niemand. Daß die herbeigesehnten tausendfachen neuen Jobs in ungeschützten 590-DM-Verträgen bestehen werden, auch das liegt auf der Hand. Eva Sittig, Nürtlingen

Eigentlich will niemand länger arbeiten. Aber alle, die im Einzelhandel tätig sind und ihren Feierabend um 18.30 Uhr unbedingt haben wollen, sollten abends gar nicht mehr ins Kino, ins Restaurant, in die Kneipe, ins Schwimmbad usw. gehen. Da arbeiten auch Menschen, die auch nicht viel verdienen. Dieses Ego-Benehmen ist echt schockierend. [...]

In Frankreich gibt es keinen Ladenschluß, und niemand beschwert sich. Die Läden sind nicht länger offen. Sie machen Mittagspause und bleiben bis 20 Uhr auf. Kein Laden ist 24 Stunden geöffnet, obwohl es erlaubt ist. Es lohnt sich nicht. Es gibt in Frankreich genauso viele kleine Läden wie hier. Wenn sie verschwinden, ist es nicht wegen der Öffnungszeiten, sondern weil die großen Supermärkte bequemer und billiger sind. Die Öffnungszeiten sind dieselben. In Italien ist es genauso.

Die Deutschen sollten mehr in Richtung Ausland gucken. Es funktioniert überall in Europa sehr gut ohne Ladenschluß, und man hat vor den Kunden ein bißchen mehr Respekt. [...] Frederic Finocchi, Heidelberg

Mit Interesse habe ich sowohl die Berichterstattung zur Ladenschlußdebatte als auch die Leserreaktionen darauf verfolgt. Im Gegensatz zu den empörten Leserstimmen, die sich da regten, hat mir die Berichterstattung jedoch gut gefallen.

Seit den fünfziger und sechziger Jahren ist unsere Gesellschaft wesentlich flexibler und offener geworden und hat sich stark verändert. Zum Glück verläuft unser Leben nicht mehr in demselben spießigen Einheitstrott der Wirtschaftswunderjahre. Die Ehefrauen bleiben nicht mehr automatisch zu Hause, sondern mischen sich ins Arbeitsleben ein. Da finde ich die Ladenschlußliberalisierung durchaus angemessen, zum Beispiel, damit erwerbstätige Frauen nicht noch damit gestraft werden, daß sie in der knappen Zeit zwischen Büro- und Ladenschluß gehetzt die Einkäufe erledigen sollen (mann hält sich in dieser Hinsicht ja eh noch sehr „vornehm“ zurück) [befindet sich also immer noch im „wirtschaftswunderspießigen Einheitstrott“ – von wegen offene und flexible Gesellschaft! d.sin]

Im übrigen muß man die Rechtfertigungspflicht in dieser Frage umdrehen: Mit welchem Recht und welcher Begründung soll es in einer Gesellschaft freier Menschen jemandem eigentlich verboten werden, Waren auch noch nach 18.30 Uhr anzubieten oder Einkäufe um diese Zeit zu tätigen? Allgemeine Arbeitsschutzregelungen für Nacht- und Feiertagsarbeit gibt es ohnehin schon, und diese gelten für alle Berufszweige, auch für den Einzelhandel. Von vollkommener Schutzlosigkeit kann also nicht die Rede sein. Ich sehe daher nicht, warum es für den Einzelhandel einen Arbeitsschutz „de Luxe“ geben soll.[...]

Christian Schwirten, Berlin

Interessant, daß sich so viele Leserbriefschreiber(linge) auf die schützenswerte kulturelle Eigenart der Deutschen berufen, und daß gleich zwei dabei den Vergleich ziehen zur südländischen Siesta. Wollen sie damit sagen, daß es dort sowas wie ein „Siestagesetz“ gibt? Ein viel besserer Vergleich wäre mit den britischen und irischen „pub closing times“; ja, andere Länder haben auch ihre Macken! Sollte die Abneigung, nach 18.30 Uhr zu arbeiten beziehungsweise einzukaufen, genauso tief in der deutschen Seele verankert sein, würde die Abschaffung des besagten Gesetzes nicht viel daran ändern. Die Aufgeregtheit der Leserbriefschreiber beim Gedanken an eine zaghafte Liberalisierung suggeriert, daß sie in das deutsche Wesen doch nicht allzuviel Vertrauen haben.

Trotzdem könnten sie doch etwas Vertrauen haben, daß ihre Abneigung gegen eine Änderung des Status quo (wozu nach eigener Bekundung schlecht bezahlte Arbeit, mürrische Verkäuferinnen und sterbende Tante-Emma-Läden gehören!) von den Arbeitgeberverbänden geteilt wird. Nach einer (leider utopischen) Abschaffung des Ladenschlußgesetzes dürfte es daher für alle Beteiligten nicht allzu schwer sein, ihre Arbeitsstunden unter sich auszumachen, und endlich das Feld frei lassen für die, die eine benötigte Dienstleistung wirklich anbieten wollen – wie zum Beispiel Tante Emma und der türkische Gemüsehändler. Besonders heuchlerisch finde ich daher die vorgespielte Sorge eines Leserbriefschreibers um die „kleinen Ladenbesitzer“, die durch die „Konkurrenz der Ketten“ vom Aussterben bedroht sind. Wieso argumentiert er dann nicht für eine selektive Befreiung solcher kleinen Läden von diesem Gesetz? Noreen O'Donovan Hage,

Pforzheim

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