: La Hague verstrahlt den Ärmelkanal
■ Bei starker Ebbe liegt Abflußrohr der Atomfabrik blank
Die große Ebbe hat es ans Tageslicht gebracht: ein dickes Rohr, rundum mit Muscheln und Algen bewachsen, das flüssige Abfälle aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague fünf Kilometer weit in den Ärmelkanal leitet. Wissenschaftler im Auftrag von Greenpeace haben am Dienstag ihre Geräte daran gehalten – und strahlende Spitzenwerte gemessen: Die Radioaktivität an dem Rohr liegt 3.000 mal über der natürlichen – 300 Mikrosievert pro Stunde beim direkten Kontakt (statt 0,10 bis 0,15 Mikrosievert pro Stunde in der örtlichen Natur).
Nicht schlimm, beschwichtigte umgehend die „Compagnie Générale des matières Nucléaires“, die „Cogéma“, die in La Hague unter anderem auch deutschen Atommüll wiederaufbereitet: „Die Strahlendosis beträgt 10 Prozent der international zugelassenen, und das Abflußrohr liegt normalerweise unter der Wasseroberfläche und im Wasser wird die Strahlendosis vernachlässigbar.“
Tatsächlich taucht das Rohr nur gelegentlich auf. Die „Cogema“ sagt, das geschehe „einmal in ungefähr 10 Jahren“. Einheimische erklären, daß mehrfach pro Jahr große Ebben mehrere hundert Meter des Abflußrohres freilegen.
Jedenfalls ist das große Watt vor dem Kap La Hague seit jeher beliebt für Muschelsuche und Fischerei in den Sielen. Greenpeace- Sprecher Jean-Luc Thierry beschreibt den nicht ungewöhnlichen Fall eines Fischers der von den großen Ebben der vergangenen Tage profitierte: „In wenigen Stunden in der Nähe des Rohres hat er die in Europa zugelassene jährliche maximale Strahlendosis erreicht.“ Ähnliches gilt für Wattwanderer wie die Gruppe deutscher Touristen, die Journalisten der Zeitung Libération am Mittwoch in der Umgebung des Rohres trafen.
Mit der Wattverstrahlung ist die WAA in La Hague in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal ins Gerede gekommen. Im Januar hatte der französische Wissenschaftler Jean-François Viel in der Zeitschrift The British Medical Journal eine epidemiologische Studie veröffentlicht, wonach in der Umgebung der WAA die Leukämie- Häufigkeit bei Kindern fünffach erhöht ist.
Die Einwohner der strukturschwachen normannischen Region halten sich mit offener Kritik an der WAA dennoch zurück. Didier Anger, örtlicher Vertreter der französischen Grünen Les Verts, erklärt ihr Schweigen so: „Jeder hier hat einen Verwandten, der in der WAA arbeitet. Die Fischer wollen ihre Produkte verkaufen. Und die Lokalpolitiker brauchen die Steuergelder.“ Dorothea Hahn
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