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LYRISCHES RUSSLAND

■ Zur Neuinszenierung von „Eugen Onegin“ an der Komischen Oper

Gerade zwei von insgesamt acht Opern, die von Tschaikowski erhalten sind, finden heute noch den Weg auf die Bühne. Das ist vor allem „Eugen Onegin“ und „Pique Dame“.

Den im Untertitel mit „lyrische Szenen“ bezeichneten „Onegin“ zeigte soeben die Komische Oper in einer Neuinszenierung, an der Adolf Dresen als Regisseur und Karl -Ernst Herrmann als Bühnenbildner arbeiteten. Die Erwartung, es würden bei diesem Bühnenbildner unvermittelt all die Stimmungen in Erinnerung kommen, die man seit den „Sommergästen“ in den russischen Stücken an der Schaubühne kennt, diese Erwartung wurde vollends erfüllt. Gerade hier aber bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück, der damit zu tun hat, daß Tatjanas und Onegins Liebes- und Leidensweg mitunter bebildert ist, als ob der ganze, wenn auch wunderschöne Kitsch aus einem Poesiealbum stammte. In den ersten beiden Bildern, die bloß idyllisch russisches Landleben vorstellen, erscheint mir dieser Zwiespalt am ausgeprägtesten. Atmosphärisch geben sie ungemein etwas her: Nachmittagssonne, die die weißgestrichene Holzveranda des Gutsbesitzerhauses bescheint, und ein sonniger Sommertag, an dem Frauen Holunderbeeren pflücken. Das alles schwingt so heiter, daß ich angesichts der singenden Landbevölkerung an lebendig gewordene Käthe-Kruse-Puppen denken mußte, die hüpfend und tanzend die Bühne bevölkern. Wenn man schon realistisch sein will, dann eben wirklich realistisch (ohne deshalb aus jedem Bild gleich Iwan den Schrecklichen hervorluken zu lassen) und nicht aus dem verklärten Blickwinkel eines mit anrührenden, gelackten Bildchen vollgeklebten Poesiealbums.

Solche Optik und Ästhetik hat darüber hinaus nicht den besten Einfluß auf Tschaikowskis gefühlvolle Musik, deren Subtilität in einem Meer von Parfum verloren zu gehen droht. Zumal gegen Tschaikowski immer wieder der Vorwurf laut wird, bei ihm seien Verzweiflung wie Leidenschaft mit Schlagermelodien porträtiert. Würde das Orchester mehr auf seinen Dirigenten Rolf Reuter achten und nicht gedankenlos drauflosspielen, so wäre ungetrübter Musikgenuß möglich, denn die Interpretation stimmt ansonsten.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß es dennoch Szenen von großer Überzeugungskraft gab. Wirklich hübsch die außerordentlich beliebte Briefszene, in der Tatjana nächtens ihre für Onegin erwachte Liebe in einem Brief an ihn gesteht, und das mit soviel Mut, daß es ungestüm aus ihr hervorbricht: „Und wär's mein Untergang.“ Die niederländische Sopranistin Maria van Dongen ist nun tatsächlich das Mädchen Tatjana in dieser fiebrig durchwachten Nacht. Roger Smeets‘ Onegin hingegen besticht denn mehr durch die darstellerische Präsenz als durch vokale Gestaltung. Das mag letztendlich bei soviel „Charakter“ fast bedeutungslos werden.

Es wird immer wieder konstatiert, wie ernsthaft Musiktheater an der Komischen Oper betrieben wird und wie dies leider oft auf Kosten der Stimmen geht. Das Lamento besteht ebenso lange wie die Komische Oper seit Felsenstein. Sicherlich wird es Opernfreunde (Stimmfetischisten zumal) geben, die diese oder jene Mängel reklamieren: Diese Stimme sei zu rauh und brüchig, jene zu klein, die andere zu schwach, hier ein Tremolo, dort fehlt der Schmelz. Alles richtig natürlich. Nur: Wer macht sich denn auf den Weg zur Komischen Oper, um dort große schöne Stimmen zu hören? Zwar heißt es in Peter Hacks Essay über die Oper: „Eine schlecht gespielte Oper bleibt sehr wohl eine Oper, eine schlecht gesungene hat aufgehört, eine zu sein.“ Dennoch kann nicht geleugnet werden, daß Inszenierungen in der Behrenstraße Opernerlebnisse von ganz eigener Qualität vermitteln - auch und gerade unter Berücksichtigung der schwächeren, weil oft noch jungen Stimmen. Gewiß hat es auch mich gestört, daß Han -Martin Nau als Fürst Gremin seine berühmte Arie „Ein jeder kennt die Lieb‘ auf Erden“ aus dem dritten Akt nur mit farblosem, arg rauhem Baß zu singen vermochte, der nichts von „würdevoll, ruhig und doch mit Wärme“ spürbar werden ließ. Auch an Michael Rabsilbers Lenski störte denn die tenorale Larmoyanz. Aber wie auch immer, das letzte Duett zwischen Tatjana und Onegin entwickeln Maria van Dongen und Roger Smeets nach der betont unterkühlten Begegnung während des vorangegangenen Balles im Haus des Fürsten, wo Moskaus Adel in erstarrter Maske zu Walzer und Polonaise tanzten, zu einem wahren dramatischen Höhepunkt.

Wer danach immer noch das Verlangen hat, schöne Stimmen hören zu wollen, und dabei auf das Regieteam Dresen/Hermann nicht verzichten will, der braucht im September nur nach Hamburg zu fahren, wo die beiden bereits „Eugen Onegin“ (sogar in russischer Originalsprache) in Szene setzen. Zu empfehlen bleibt dessen ungeachtet die Aufführung an der Komischen Oper im Ostteil der Stadt.

ec

Heute noch eine Vorstellung.

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