LONDON: EIN GIPFEL ZUR ZUKUNFT AFGHANISTANS UND DER EU: Fünf Freunde lernen Außenpolitik
Seit Sonntagabend ist die akademische Debatte über die „Finalität“ der EU, die Außenminister Joschka Fischer im letzten Jahr anstieß, vorbei. Wo das alles enden soll, wie also die künftige EU aussehen soll, ist seit dem Treffen der Großen Fünf in London klar: Wenige „Pioniere“, so Frankreichs Staatspräsident Chirac, schreiten bei wichtigen Fragen voran: Briten, Franzosen, Deutsche, Italiener und Spanier. Der Rest, die Mitgliedsstaaten in Skandinavien und bald auch in Ostmitteleuropa, schließt sich der vorgegebenen Linie an. Oder sie bleiben, Preis der Freiheit, politisch außen vor und müssen dann auch Sonderwege gehen.
Dass sich die EU auf diese Weise entwickelt, kann angesichts der geplanten Erweiterung auf mindestens 27 Mitgliedsstaaten nicht überraschen. Zudem hat nach dem 11. September der Druck zugenommen, außenpolitisch rasch handeln zu können. Erstaunlich ist jedoch, dass sich die Avantgarde jetzt so schnell, ja geradezu spontan herausbildet – und dass sie dies außerhalb der EU-Verträge tut. Schließlich hatten sich die Regierungen erst beim Gipfel in Nizza auf eine verstärkte Zusammenarbeit in der Außenpolitik geeinigt. So hätten sich die Regierungschefs auch ohne die noch ausstehende Ratifizierung des Nizza-Vertrags zumindest an die dort vorgeschriebenen Regeln halten können. Sie sehen vor, dass jedes Mitgliedsland die Notbremse ziehen und missliebige Beschlüsse zu Fall bringen kann. Dies ist jetzt nicht mehr der Fall.
Insgesamt, jenseits aller Vertragsklauseln, stärkt die Zusammenarbeit der Großen die Union. Der britische Premierminister Tony Blair selbst bindet sein Land wieder enger an den Kontinent, und die integrationskritischen Staaten Nordeuropas sind gar nicht so unglücklich darüber, dass sie bei einer gemeinsamen Außenpolitik nicht mitmachen müssen. Kürzlich, beim Gipfel in Gent, konnten sich die Fünfzehn nicht einmal darauf einigen, den Sturz der Taliban zu fordern. Bei der Entscheidung über die Zukunft Afghanistans wollen die großen EU-Staaten aber auf alle Fälle dabei sein. SABINE HERRE
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