LKW-Fahrer legen Frankreich lahm

Die Bevölkerung verfolgt den Arbeitskampf mit Sympathie, die Regierung mit Sorge. Schon gibt es Ankündigungen von Solidarstreiks. Bald ist vielleicht auch Paris dicht  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Wenn es November wird in Frankreich, streikt garantiert irgendwer. In diesem Jahr sind es die LKW-Fahrer. Seit über einer Woche blockieren sie zahlreiche Verkehrsknotenpunkte, um höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und eine Verrentung mit 55 Jahren durchzusetzen. Nachdem die Verhandlungen mit den Fuhrunternehmern in der Vornacht wieder einmal gescheitert waren, dehnten die LKW-Fahrer ihre Kampfmaßnahmen gestern auch auf die deutsch-französische Grenze bei Straßburg aus. Sollte sich bis zum Wochenende nichts tun, wollen sie auch Paris lahmlegen. Einige hundert rund um die Hauptstadt plazierte Laster würden ausreichen.

Die Sympathie der Franzosen mit den „copains routiers“ ist trotz der stellenweise bereits auftretenden Versorgungsengpässe – vor allem beim Benzin in Südfrankreich – ungebrochen. „Die armen Jungs. Sie müssen 60 Stunden die Woche arbeiten und bekommen nicht mal Überstunden bezahlt“, heißt es morgens im Café. Eine Meinungsumfrage des Ipsos-Instituts im Auftrag des französischen Staatsfernsehens belegt, daß 87 Prozent der Befragten die Forderungen der LKW-Fahrer für berechtigt halten.

An die 130 Orte im ganzen Land, darunter Kreuzungen, Benzinlager und der Großmarkt Rungis südlich von Paris, waren gestern blockiert. An diesen Orten haben streikende Fahrer mit ihren LKWs enge Gassen gebildet, durch die sie nur den PKW-Verkehr tröpfeln lassen. Vor allem ausländische LKW-Fahrer geraten in diese Fallen, in denen sie oft mehrere Tage festgehalten werden. Streikbrechenden Franzosen gelingt es meist, die Barrikaden zu meiden.

Die Streikenden haben in den vergangenen Tagen bewiesen, daß sie zu vielfältigen und mobilen Einsätzen in der Lage sind. Die Ausstattung ihrer Fahrerkabinen mit CB-Sprechfunk und ein seit dem letzten LKW-Fahrer-Streik im Jahr 1992 stark angestiegener gewerkschaftlicher Organisationsgrad auf inzwischen 54 Prozent machen das möglich. Wie viele der 317.000 französischen LKW-Fahrer tatsächlich streiken, ist unbekannt. Zahlreiche Fahrer haben keine festen Arbeitsverträge, sondern werden pro Transport bezahlt. Ihre Streikbeteiligung ist besonders gering.

Der Gütertransport auf der Straße hat in Frankreich in den vergangenen zwei Jahren um ein Drittel zugenommen. Im selben Zeitraum wurden nur 25 Prozent mehr Fahrer beschäftigt – von denen viele heute länger arbeiten müssen und schlechter bezahlt werden. Ihre 35.500 Arbeitgeber sind vor allem kleine Unternehmen. Die personell unterbesetzten staatlichen Kontrolleure prüfen vor allem die großen Fuhrbetriebe; die kleinen können lohn- und sicherheitstechnisch weitgehend unbehelligt wirtschaften.

Die französische Regierung befindet sich angesichts des Streiks in einem Dilemma. Einerseits vertritt sie einen weitgehenden Liberalismus, andererseits hält sie die Forderungen der Fahrer für berechtigt. Vor allem aber will sie keine erneute wochenlange Blockade des Landes riskieren. Am Wochenende bestimmte der Transportminister einen Vermittler. Sollten seine Bemühungen in den nächsten Tagen erfolglos bleiben, können die LKW-Fahrer mit starker Unterstützung rechnen. Manche Eisenbahner drohen bereits mit solidarischen Warnstreiks.