LIEBESERKLÄRUNG: Pontifex Kermani
Religion ist wie ein Penis: Es ist okay, einen zu haben, aber man hält ihn in der Öffentlichkeit bedeckt. Oder?
Wer von Navid Kermani nur ein einziges Buch lesen will, sollte sich die Dissertation des Orientalisten vorknöpfen. Seine Betrachtung über die Ästhetik des Koran ist unter dem wunderbaren Titel „Gott ist schön“ als Taschenbuch erhältlich und eine begehenswerte Brücke in den Islam, allein schon des Stils und der Aussicht wegen. Im Kern enthält „Gott ist schön“ auch schon alles, was Kermani als Schriftsteller und aufklärenden Pontifex zwischen den Kulturen so auszeichnungswürdig macht. Das genaue Lesen, das Abwägen, die schaukelnde Dialektik. So äußerte er sich als Publizist zum Irakkrieg mit dem Satz: „Krieg ist das falsche Mittel. Aber Befreiung ist nicht das falsche Ziel.“ Wer wollte da widersprechen?
Beeinflusst ist Kermani vom Protestantismus des Siegerlands, wo er in einer Ärztefamilie geboren und aufgewachsen ist. Denken ist Helfen, Schreiben ist Helfen, und geholfen werden kann immer nur von höherer Warte. Bei Kermani ist diese Warte ein universalistischer Glauben, der zwar hinterfragt, aber am Ende immer bestätigt wird. Das macht ihn zu einem pietistischen Martin Mosebach. Oder auch zu einem Dritte-Welt-Laden auf zwei Beinen. Das Salbungsvolle zeigte sich auch bei seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises in der Paulskirche zu Frankfurt.
Er sprach so geschliffen und würdig wie zuvor schon im Bundestag. Für das Ende hatte der Stilist eine „provokante“ Pointe vorgesehen: Er nötigte zum Gebet für verfolgte Christen im Irak. Es war eine in ihrer Hilflosigkeit rührende und damit selbst Laizisten zur Andacht nötigende Geste der Regression aufs Religiöse.
Zu Recht heißt es, Religion sei wie ein Penis: Es ist okay, einen zu haben, und in Ordnung, stolz darauf zu sein – nur sollte man ihn nicht in der Öffentlichkeit herausholen und damit herumwedeln. Was aber, wenn es ein wirklich sehr schöner Penis ist? Arno Frank
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