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LIEBESERKLÄRUNGFranziskus

DER PAPST STEMMT EINE REFORM NACH DER ANDEREN. LIEBENSWERT IST ABER VOR ALLEM SEINE GRUNDÜBERZEUGUNG: BARMHERZIGKEIT

Auf den ersten Blick hat es etwas von Taschenspielertricks: Die katholische Kirche streitet darüber, wie man mit Gläubigen umgehen soll, die geschieden sind, aber sich wieder verheiratet haben und dennoch zur Eucharistie gehen wollen? Kein Problem, meint Papst Franziskus, dann senke ich eben die Hürden, um gescheiterte Ehen zu annullieren – dann haben die Geschiedenen nach einem solchen Schritt wieder Zugang zu den Sakramenten; so ist das kirchenpolitisch brisante Problem fast vom Tisch!

Die Kirche verliert gläubige Katholikinnen, weil sie früher einmal abgetrieben haben und es sehr schwer ist, in einer Beichte Vergebung für diese Sünde zu bekommen? Kein Problem, meint Franziskus, dann verringern wir da die Kirchenbürokratie, um eine solche Vergebung zu erhalten

Ganz Europa ächzt unter der großen Menge an Flüchtlingen – und auch katholische Länder wie etwa Polen sträuben sich, nennenswert viele Vertriebene aufzunehmen? Kein Problem, dann sollen eben alle katholischen Gemeinden Europas eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen – was für ein Segen bei angeblich über 100.000 katholischen Gemeinden auf dem Kontinent!

Wer dieses Umgehen der Probleme durch Franziskus als cheap tricks abtut, tut ihm jedoch unrecht: Der Papst versucht derzeit, mit originellen Lösungen zumindest kirchenpolitisch riesige Probleme aus dem Weg zu räumen – er löst die gordisch anmutenden Knoten nicht, er zerschlägt sie. Und das auf durchaus jesuitische Art, mit einer gewissen List.

Das Grundprinzip dieses Pontifikats aber bleibt bei all dem: Barmherzigkeit. Papst Franziskus hat erkannt, dass seine 1,2-Milliarden-Menschen-Kirche nur eine Zukunft hat, wenn sie sich von weltfremden, alten Prinzipien verabschiedet und sich wieder den Menschen und dem Heute zuwendet. Und dafür darf die Kirche, gut katholisch, auch mal über Umwege gehen. Philipp Gessler

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