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Aus der taz FUTURZWEI

LGBTQ: Diskriminierung im eigenen Lager Ich, der Feind

Woran es liegt, dass schwule weiße Männer zu Feinden des queeren Aufbruchs geworden sind.

Bild: Anja Weber

Von Jan Feddersen

Eigentlich wollte ich als schwuler Mann einfach in Ruhe gelassen werden. Nicht übersehen, sondern ernstgenommen werden und nicht schweigen müssen, wenn alle anderen Männer (und Frauen) über ihre Heterogeschichten berichteten. Rechte – die haben wir erkämpfen müssen. Und können. Rechte sind etwas anderes als Identitäten. Letztere sind privat wichtig, Erstere begründen die Codes für ein Zusammenleben.

Rechte haben wir auch haben wollen, keine kollektiven, verpflichtenden Identitäten: Die Ehe für alle, vorher schon die vollständige Tilgung aller juristischen Reste des Verbots von Homosexualität. Über meine Identität möchte ich nicht verhandeln, weder mit mir, schon gar nicht mit anderen. Was weiß ich, was ich morgen bin? Heute – und schon in allen Jahren, die ich lebe –, will ich keiner identitären Agenda folgen. Das Klischee will, dass man männliche Homosexualität mit Neigung zu Schönem verbindet, zu Eiskunstlaufen und Blumenpflege. Sorry, kann ich nicht mit dienen. Fußball, Biathlon, Splatterkrimis im Fernsehen und Tarantino im Kino, aber nix mit Romantik im kitschigen Sinne. Queer, also schräg und schrill, mag ich in den Augen anderer sein, mein Job war es immer, und sollte es sein!, mich als normal zu nehmen. 

Was für ein Zeitenwechsel. Vor vier Jahrzehnten musste unsereins sich rechtfertigen für das, was er oder sie ist – nun müssen es die anderen, etwa Leute der AfD oder klerikale Kreise: Die Aversion gegen Menschen, die als Mann nicht mit einer Frau oder als Frau mit einem Mann zusammen sein wollen, ist begründungsnötig geworden, nicht mehr umgekehrt: Die „Verschwulung der Welt“ (Schriftsteller Hubert Fichte in den Siebzigern) ist nicht gelungen und zugleich ist sie es doch. Denn aus dem kleinen, beschämenden Geheimnis eines Mannes oder einer Frau ist ein souveränes Signum geworden. Spielt keine Rolle und ist doch von beiläufigem Interesse, ohne ein Hüsteln der Entrüstung zu provozieren oder gar Mitleid zu wecken.

Ich darf nicht mehr mitreden

Ist das schon alles paradiesisch, sind es gar erstrittene Umstände, die auf Gelassenheit deuten? Könnte man jetzt sich unaufgeregter darüber auseinandersetzen, wie es um die Schulbücher und Sexualaufklärungsmaterialien bestellt ist? Lässt sich nun mit gutem Fundament darüber zanken, dass viele schwule und lesbische Kolleg:innen in  ihren Jobverhältnissen sich nach wie vor nicht trauen, nicht besonders bekenntnisdrängelnd, aber offen mit ihren homosexuellen Privatverhältnissen umzugehen? Könnte man nicht entspannter mit Leuten umgehen, die nicht jede theoretische Verästelung des Diskurses in sogenannten LGBTI*-Kreisen mitmachen und ihn gutheißen? Muss Zustimmung finden, was neulich in der taz eine offenkundig nur in einem studentoiden Privatzirkel sich aufhaltenden Autorin  wahrnahm? Dass in ihrem Umfeld keine heterosexuelle Frau mehr penetriert werden möchte, auch, weil kein Mann mit entsprechendem Interesse mehr existiert? Braucht die politische Bewegung der Fortschrittlichen die Belehrung durch queere Kreise, für die eine Welt mit klassischen Paaren heterosexueller Art nicht mehr state of the art ist?

Aber ich darf ohnehin nicht mehr kompetent mitreden, ich bin als weißer Cis-Mann nicht mehr akzeptabel, glaubwürdig, zurechnungsfähig. Wer nicht gleich alle Avantgardevokabeln versteht: Cis ist ein Mensch, der sich dem gleichen Geschlecht zugehörig führt, wie jenes, das er an sich selbst wahrnimmt. Also ein Mann, der mit seinem Penis nicht nur kein Problem hat, sondern ihn okay findet. Und eine Frau, die mit ihrem biologischen Geschlecht – Vagina, Brüste – nicht fundamental  hadert. Cis und Mann – das ist nicht Trans*, also ein Mensch, der seine Identität für flüssig hält, weitgehend dauerhaft. Und das Sprechen darüber für den Nabel des Politischen.

Kurzum: Ich bin ein Feind geworden. Ein Weißer, das ist schon anstößig an und für sich. Und außerdem ein Mann, schlimm obendrein. Schwul? Nicht mehr opferig genug. Verübelt wird das, was man als erfochtene Bürgerlichkeit bezeichnen könnte. Und bekämpft wird es ohnehin. Ein weißer Mann ist der Kontrahent schlechthin, die weiße Frau, die einfach nur lesbisch sein will, ist nach dieser Moral kaum besser.

Nebenwirkung Entsolidarisierung

Natürlich geht es ums Geld. Jene, die ihre queeristischen Ansprüche gegen uns weiße Frauen und Männer in Stellung bringen, die ihre kapitalismuskritischen Theorien zur Praxis werden lassen wollen, möchten, dass man von den Fleischtöpfen der staatlichen Alimentation verschwindet. Sie wollen nun Subventionen, mediale Aufmerksamkeit, das Alleinstellungsmerkmal der Diskriminierung und Ausgrenzung.

Davon abgesehen, dass das Sprechen über und das Fordern nach fluiden, dauerflüssigen Identitäten einen neoliberalen Diskurs beflügelt, die Suggestion ewiger Wahlfreiheit von allem, auch der persönlichen Identitäten, führt diese Konfrontation zu Entsolidarisierung. Weshalb sollte unsereins gegen die Diskriminierung von Trans*menschen sein, wenn diese doch zugleich einen zum größten Übel erklären? Wozu führt es gesellschaftlich und politisch, die Mehrheit schlechthin zum Objektfeld der Bekämpfung zu machen? Welchen Sinn stiftet es, zwar die gefühlte Mehrheit in einem Seminar für Queer oder Gender Studies zu haben – aber schon in der Universitätsmensa kein Bein mehr an Land zu kriegen, von Arenen wie Fußballstadien, Landfrauentage oder Demonstrationen gegen den Klimawandel zu schweigen?

Was nützt es überhaupt, die Tatsache zu ignorieren, dass die allermeisten Menschen ziemlich zufrieden sind mit ihrem sexuellen Leben, sei es in Familie, mit heterosexueller Frau oder Mann, in der Ehe ohne Kinder? Wem dient es, alle geschlechtlich-biologischen Verhältnisse für entscheidbar zu halten, für ungefähr so verhandelbar wie die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Zahnpastasorten? Verspricht es nicht nur keine Mehrheit, sondern verbreitet es nicht auch Furcht vor dem „Du musst!“? Überfordert die sexuelle und identitäre Moral von Interessantheit und Originalismus ("Sei anders als alle anderen - Jetzt!") nicht jene, die das nicht wollen? Und bewirkt dies nicht Identitätsrülpser, die einem Mann wie Donald Trump zum Sieg verholfen haben?

JAN FEDDERSEN, 61, ist taz-Redakteur für besondere Aufgaben und Kurator der Konferenz tazlab. Ein Schwerpunkt seiner publizistischen Arbeit ist die politische und rechtliche Diskriminierung von LGBTI-Menschen.