LGBT in Bangladesch: Unter ständiger Beobachtung
Zwei Morde sorgten 2016 dafür, dass die hoffnungsvolle Bewegung abflaute. Jetzt wollen Aktivist*innen sie erneuern und planen ein queeres Archiv.
Queer ist in Bangladesch in diesen Tagen nicht queer – „eigenartig“ –, sondern unauffällig, angepasst. Nur und Tasnim identifizieren sich beide nicht eindeutig mit einem Geschlecht, doch auf den ersten Blick ist das nicht zu erkennen: Nur ist groß, in Hemd und Hose gekleidet, und trägt Vollbart. Tasnim klein und zierlich in einem Salwar Kamis. Auf der Straße würden sie Fremde klar einordnen: Nur ist ein Mann, Tasnim eine Frau. Sie sind es nicht, aber in Dhaka ist es heutzutage sicherer, nicht aufzufallen. Deshalb haben die beiden Aktivist*innen hier keinen Nachnamen.
Wir treffen uns absichtlich nicht in der Öffentlichkeit, um freier sprechen zu können. Sie empfangen mich deshalb im Wohnzimmer eines Apartments – für das Gespräch bleibt die Tür zu. Beide fasten nicht, trotzdem gibt es abendliche Snacks wie zum Fastenbrechen. Nichts soll eigenartig, queer wirken. Um ihrer Sicherheit willen heißen sie für diesen Artikel ganz anders.
„Die Szene in Dhaka war schon immer sehr geheim, sehr vorsichtig“, sagt Tasnim. „Es gibt wenige Orte, an denen man sich treffen und austauschen kann – alle, die es gibt, sind sorgfältig ausgesucht und meist selbst eingerichtet.“ Oft habe man jahrelang mit jemandem zusammengearbeitet und erst dann herausgefunden, dass die Kolleg*in queer sei. Heute ist die Szene noch verschüchterter, nachdem sie zunächst von Islamisten angegriffen wurde und inzwischen auch aktiver vom Staat verfolgt wird. Ende Mai wurden 27 Männer auf einer Party festgenommen. Offiziell sind sie wegen Drogenbesitz angeklagt, doch die Polizei erklärte öffentlich, dass dies eine „Schwulenparty“ war.
Was Nur und Tasnim mit einer kleinen Gruppe Aktivist*innen planen, soll das Selbstbewusstsein der Szene wieder stärken und ist alles andere als unauffällig: ein queeres Archiv, erstellt von queeren Menschen im Land. Hier sollen Erfahrungen und Geschichten der Szene dokumentiert werden. „Es soll gemeinschaftsbildend werden“, sagt Nur. „Sichtbarkeit ist für uns gefährlich, aber gleichzeitig gibt es Geschichten, die erhalten werden müssen.“ Die Community müsse reflektieren, was ihre eigene, regionale Geschichte sei, und zugleich, wie diese von NGOs, Botschaften und Menschenrechtsgruppen überformt wird.
Selbstbewusstsein und Backlash
Erst vor wenigen Jahren hatte die LGBT-Bewegung in Bangladesch Hoffnung geschöpft. Anfang 2014 erschien das LGBT-Magazin Roopban, und zur selben Zeit erkannte die Regierung ein drittes Geschlecht auf offiziellen Ausweisen an. Nur wenige Monate darauf liefen bei der Neujahrsparade Aktivist*innen in den Farben des Regenbogens mit. Es war zwar keine richtige Gay Pride – die Organisatoren sprachen von einem „Fest der Freundschaft und Vielfalt“ –, doch für viele im Land und außerhalb war es ein Zeichen, dass inzwischen mehr Offenheit möglich war.
2015 lief erneut eine „Rainbow Rally“ bei der Neujahrsparade mit, und im Herbst wurde „Dhee“ präsentiert, eine lesbische Comicfigur, die über das Leben Homosexueller in Bangladesch aufklären sollte. Doch mit dem Selbstbewusstsein kam auch der Backlash. In derselben Zeit entwickelten sich aktive Islamistengruppen, die Blogger*innen und Atheist*innen angriffen und in vielen Fällen auch ermordeten.
Als 2016 die dritte „Rainbow Rally“ angemeldet wurde, mobilisierte ein einflussreicher islamistischer Blog dagegen. Die Regierung entzog die Erlaubnis für die Demonstration, und schließlich sagten auch die Organisator*innen sie wegen Sicherheitsbedenken ab. Keine zwei Wochen später ermordeten Islamisten Xulhaz Mannan, der Chefredakteur von Roopban war und die „Rainbow Rally“ angemeldet hatte, und seinen ebenfalls schwulen Freund Mahbub Rabbi Tonoy. Die Regierung, die immer wieder versucht, sich als konservativ und fromm darzustellen, verglich die Texte von Roopban wenige Tage später mit Pornografie.
„Nach dem Mord hatte ich entsetzliche Angst“, sagt Nur. „Die großen LGBT-Gruppen lösten sich auf, viele Aktivist*innen tauchten unter oder suchten im Ausland Asyl.“ Die, die blieben, bekamen Morddrohungen. 2017 wurde erst gar nicht versucht, eine „Rainbow Rally“ anzumelden, Roopban wurde eingestellt, und die queere Partyszene schlief ein. „Der Mord an Xulhaz hat alle erschüttert“, sagt Tasnim. „Jetzt müssen wir unsere gesamte Infrastruktur neu aufbauen.“
Ein Neuanfang
Das queere Archiv soll nun ein Neuanfang sein. Zugleich soll es sich von der Bewegung, wie sie vor dem Mord an Xulhaz entstanden war, abgrenzen. „Damals ging es sehr stark darum, Akzeptanz in der Gesellschaft zu finden“, sagt Nur. „Die Diskussion war stark von besser gestellten schwulen Männern dominiert – für viele andere queere Menschen stehen aber ökonomische Fragen im Vordergrund: Wie können sie sicheren Wohnraum finden oder Arbeit?“
Gerade queere Frauen hätten größere Probleme mit Sichtbarkeit als Männer: Tasnim beispielsweise wohnt mit einer Frau zusammen, ohne „männlichen Vormund“ – Vater, Bruder oder Ehemann – wie es in Bangladesch üblich wäre: „Wir sind ständig unter Beobachtung, und es ist unmöglich, befreundete Männer oder Partner*innen zu Besuch zu haben.“ Andere Gruppen wie „Hijras“ – das „dritte Geschlecht“ in Südasien – hätten Schwierigkeiten, andere als traditionelle Jobs wie etwa Prostitution oder das Geldsammeln bei Feiern zu finden.
„Uns ist wichtig, dass Menschen aus den Gemeinschaften selbst als Archivar*innen arbeiten“, sagt Nur. „Sie müssen selbst bestimmen können, wie sie dargestellt wurden. Als Hijras zum Beispiel als drittes Geschlecht anerkannt wurden, versuchte die Regierung, sie als Transsexuelle zu definieren, und viele Hijras selbst fragten: 'Warum soll ich sagen, dass ich vorher ein Mann war und jetzt eine Frau bin? Ich bin Hijra.“ Da viele Menschen aus queeren Gruppen niedrige Einkommen haben, sammelt Nur und Tasnims Gruppe Geld im Netz – unter anderem um den Archivar*innen eine Aufwandsentschädigung zahlen zu können.
Wenn alles läuft wie geplant, werden mit dem Archiv aber queere Menschen wieder sichtbarer – und exponierter. „Wir brauchen einen festen physischen Ort für das Archiv“, sagt Tasnim. „Sonst bleiben die Inhalte wieder nur wohlhabenden Menschen mit der nötigen Hardware vorbehalten. Und die Sicherheit? „Das wird eine wichtige Frage sein. Wir brauchen aber auch einen Ort, wo wir hingehen, offen queer sein und miteinander sprechen können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!